Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
erinnert ihn an heiteres Beruferaten. Die Stimme vom Jonny klingt entsprechend. Als würde er am Schluss eine Lösung präsentieren und den Preis überreichen. Warum er das alles bereits ermittelt hat, verblüfft den Hauptkommissar. Als könne der Bursche seine Gedanken lesen. Vorauseilender Gehorsam auf höchstem Niveau.
»Also, wenn das Madl seine Tochter ist und er eine Wohnung hat, sollte jemand vorbeischauen. Ich hoff, das ist längst passiert, oder?« In Wirklichkeit hofft er, seine Idee wäre jungfräulich und das Madl dort anzutreffen.
»Nicht schlecht, die Idee. Passiert gerade. Unsere Leute müssten sich schon auf die Füße steigen. Ist nur ein Wohnklo.«
»Wieso unsere Leut? Kruzifix, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Bist du bei den Kartäusern eingetreten?«
»Ich wollte sagen, dass da grad ein Leichenfund gemeldet worden ist.«
»Sag amal, spinnst du?«, plärrt der Sandner ins Mobilteil. Auf der Straße drehen sich ein paar Fußgänger nach ihm um. Mehr Neugier, denn Überraschung. Vielleicht hat sein Gspusi das Geld verprasst oder ihm endlich die Sachen vor die Tür geschmissen. Kein Wunder, so aggressiv, wie der Mann daherkommt. Wird eine Wohltat sein für die Frau, den loszuwerden.
Der Sandner dämpft seine Stimme. »Jonny – wieso sagst du nicht gleich, was Sache ist? Lässt mich hier rätseln. Kommst du als Glückskeks daher? Wo ist die gschissene Wohnung?«
Z um ersten Mal in seinem Leben fährt der Sandner mit der U-Bahn zu einem Tatort. Im Prinzip, als wenn die Feuerwehr mit dem Bobbycar samt Hänger beim Zimmerbrand auftauchte. Nicht stilvoll, nicht professionell – aber wenigstens rot.
Egal wie du dich abhetzt, den Tod überholst du nie. Der kommt immer pünktlich. Kein Wunder, er schreibt den Fahrplan selbst.
Vielleicht entspricht das Verkehrsmittel seinem neuen Status. Abgewirtschafteter Polizist ohne Auftragsgebiet.
Auf der Holz vortäuschenden Hartplastikschale im Waggon sitzt der Sandner wie auf Kohlen. Die Wiesner wird mit Blaulicht unterwegs sein, der Hartinger nicht erreichbar. Der gibt allmählich die Diva. Persönliche Interviews nur mit Voranmeldung. Das Junggemüse treibt es bunt. Wenn die so weiterwurschteln, werden sie geputzt, gedämpft und gefressen. Rein präventiv.
Er fragt sich, was ihn in Slatkos Wohnung erwarten wird. Jede Leiche hat auch eine Zuständigkeit, damit keine Verwirrung aufkommt. Der Kriminaldauerdienst wird am Tatort sein. Zwei Tote in zwei Tagen. Als wäre ein hungriger Menschenfresser unterwegs. Sie hasten hinterher, bis die Lungen stechen, aber er ist immer vor ihnen da – und vor ihnen wieder weg.
Der Sandner steigt am Heimeranplatz aus der U-Bahn. Nicht weit von der Hansastraße entfernt wohnt der Vater des Madls. Zwei Querstraßen weiter ist er am Ziel.
Ein schäbiger Mietblock, dessen ehemals weiße Fassade von der qualmenden Stadt in jahrzehntelanger Arbeit geschwärzt wurde.
Der Mann schreitet durch ein zweiflügeliges Tor über einen asphaltierten Innenhof zum Rückgebäude. Souterrain. Weiter als bis zum Treppenabsatz kommt er nicht. Ein buntes Völkchen, das ihm dort den Weg versperrt. Schwarzlederne Rücken sieht er vor sich, Spurenermittler in strahlend weißen Plastikanzügen, Uniformierte jeder Form und Größe. Funkgeräte rauschen, knappe Anweisungen werden herausgebellt. Die umliegenden Fenster von Köpfen vollständig ausgefüllt. Vom Kind bis zum Greis ist alles versammelt. Familienprogramm. Die hallende Akustik verzerrt die Stimmen, als wäre das Geschehen eine Traumfrequenz. Albmahr.
Sonst ist der Hauptkommissar immer der Dompteur gewesen, der in der Manege die Peitsche schwingt. Im Moment ist er sich nicht sicher, ob er den Clown oder den Zuschauer gibt. Merkwürdiges Gefühl.
Er unterdrückt den Impuls, sich mit wichtiger Miene ins Gewühl zu stürzen. Möglicherweise wäre es wie ein Sprung vom Felsen. Er würde hart aufschlagen. Die eine oder andere Hyäne würde sich mit Freuden im angeschlagenen Tier verbeißen. Er hat einen Staatsanwalt vor Augen. Er wird ihm seine offene Flanke nicht präsentieren. Die Hände in den Taschen versucht er, einen möglichst souveränen Eindruck zu machen. Sein Blick wirkt entschlossen. Der Unberührbare bahnt sich seinen Weg.
Von seinem Standpunkt aus kann der Sandner die Wiesner ausmachen im Gemenge, sowie die vertrauten Gestalten vom Kriminaldauerdienst. Die Männer auf der Treppe zur Souterrainwohnung haben ihn bemerkt und machen ihm Platz. Seine mindere Stellung
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