Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Durchgangsstraße Richtung U-Bahnhof zu finden. Die hastet er entlang, an einer stacheldrahtverzierten Mauer vorbei, bis er gegenüber die Gartenanlage erkennen kann. Die Häuser in der Umgebung sind dunkel. Als er beim beschriebenen Grundstück ankommt, schlagen in der Nachbarschaft einige Hunde an. Die Stimmlagen sind differenziert. Vom hochtourigen Kläffen bis zum heiseren Grollen ist alles dabei. Der Sandner vertraut darauf, dass die Viecherl gut verstaut sind, und nähert sich der Eingangstür. Er läutet Sturm. Nichts. Nicht einmal das Licht geht an. Ratlos schaut sich der Mann um. Du kannst nicht in ein Haus einbrechen, weil du vermutest, jemand könnte sich deine Jacke geborgt haben. Der Wutschrei klettert ihm langsam den Hals hoch, verstopft ihm die Kehle. Der muss raus, bevor er platzt wie ein angestochener Luftballon. Augenblicklich! Der Sandner brüllt. So könnte es sich anhören, wenn du einem Grizzlybären den Lachs aus dem Maul reißt. Der Schrei erhebt sich in die Luft, kreist über den Häusern und macht sich davon.
Ein Fenster öffnet sich im Nachbarhaus des Vinzent. »Schau, dass du weiterkommst, du greislicher Brüllaff!«, kreischt eine hohe Stimme.
Aus der Schwärze der Nacht gesellt sich ein Tenor hinzu: »Verschwind, du Depp, du trauriger, und schlaf deinen Rausch aus!«
Treffender hätte man das nicht in Worte fassen können.
Der Kriminaler dreht sich ratlos um die eigene Achse, haut die Hände auf die Schenkel.
Den Weg zurück zur Kneipe trabend, gibt er sich düstersten Überlegungen hin. Wenn er jetzt seine Dienstwaffe als gestohlen meldet, gilt das Projekt sicherlich als gescheitert. Verletzung der Sorgfaltspflicht. Da wirst du in Öl gesiedet. Der Wenzel wird sich mit Eifer darauf stürzen. Nicht, weil er dem Brauner die Mutter nicht vergönnt, der Sandner ist es, an dessen Malheur er sich sattfressen würde. Mastfutter fürs Wenzelsche Ego. In der Kneipe den Bierdimpfl geben, das würde ins Bild passen, das sich der Staatsanwalt von ihm gemacht hat. Abgesehen vom ganzen Papierkram und der Untersuchung, die seine Tarnung auffliegen lassen und ihn auf der Dienststelle festnageln würde, wie den Christus im Herrgottswinkel. Ja, kreuzigt ihn, den tumben Narren. Wie hatten sie vor Kurzem gespöttelt über den Beamten, der auf dem Klo einer Autobahnraststätte seine Dienstwaffe auf der Ablage hat liegen lassen. Wahrscheinlich hat er Angst gehabt, sie könne ihm beim Scheißen in die Schüssel fallen. Jetzt kann der Sandner mittanzen im Narrenreigen. Es fängt an zu regnen. Nein – das ist eine unkorrekte Beschreibung. Der Himmel holt sein gewaltiges Gemächt hervor und pieselt sich ordentlich aus. Innerhalb einer Minute könnte man den triefenden Sandner zum Trocknen an die Leine hängen. Verdreckter Ermittler. Was noch? Die Nacht ist jung, wie wäre es mit einem Erdbeben? Die entfesselte Natur kippt ein Jauchefass über den Hauptkommissar. Pechmarie der anderen Art.
Als er endlich die Lichter vom Ansi erblickt, schaut er sich nach einem Versteck um. Viel Mühe muss er sich nicht geben, ein passendes Nest zu suchen, die Dunkelheit hilft mit. Zwei Gebäude weiter geht er unter einem Dachvorsprung in Stellung. Von hier aus behält er die Eingangstür der Eckkneipe im Auge. Der scharfe Geruch frischer Pisse zieht in seine Nase. Er ist nicht der Erste gewesen, der die geschützte Lage bei den mannshohen Büschen erkannt hat. Jemand hat sein Revier markiert.
Der Sandner ist über jede Art von Empfindung hinaus. Hoch konzentriert. Es kann riechen, wie es mag. Er würde sich aktuell im Scheißhaufen vergraben, wenn es nützlich wäre. Hoffentlich ist der Gestreifte noch im Lokal am Schlucken. Er will wissen, wo der haust. Vielleicht kann er ihn in der Früh abpassen. Schluss mit lustig!
Sein stilles Flehen wird erhört. Der Regen lässt nach, kaum hat er sich untergestellt. Kälte zieht in seine Glieder. Er marschiert auf der Stelle, schlägt und kreiselt mit den Armen. Einzig seine Füße sind trocken geblieben. Ein Highlight. Die Zeit plätschert dahin wie versprengte Wassertropfen, die sich auf den Blättern der Bäume zum Rinnsal vereinigen.
Fünfzehn lange Minuten später kommt der Mann in Begleitung zweier Kumpel aus der Kneipe. Sie drängen sich aneinander. Sechs Beine halten besser das Gleichgewicht als zwei. Im langsamen Trott macht sich der seltsame Käfer auf den Weg in Richtung Wohnanlage. Diese Spezies ist so alt wie die Kultivierung der Gärung.
Der schlotternde
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