Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Tür gesetzt.
Er hat auf den Wessold gewartet. Eine Stunde im Regen. Wie der dann zurück zu seiner Wohnung wollte, hat er ihn sich gepackt. Sie haben gerangelt. Und dann wäre da plötzlich ein schwarzer Schatten gewesen, wie aus dem Nichts, und der Wessold wäre zusammengebrochen. Überall Blut. Er wäre dem Schatten nachgerannt, brüllend, aber der ist verschwunden gewesen.
Wie er zurückgehen wollte, waren da überall Leute und Polizei, und er hat nicht aus und ein gewusst. Er ist nach Hause gerannt, ins Bett, und da haben sie ihn schließlich verhaftet. Im Verhör haben sie auf ihn eingeredet, da wäre niemand gewesen – nur er. Den Wessold hätte er umbringen wollen und ihm heimtückisch aufgelauert. Und das Messer ist in seinem Keller geflackt. Was willst du noch reden? Es interessiert niemanden. Besser, du schweigst. Mehr als vier Jahre sitzt er jetzt im Knast, und viel mehr werden es nicht mehr werden, weil die Leber schon schlappgemacht und sein Speiseröhrenkarzinom keine gute Prognose hat. Damit wirst du nicht alt.
D as alles weiß die Wiesner, hat sie nachgelesen heute Nacht, mit überreizten Augen, das Blut durch schwarzen Kaffee ersetzt. Aufgewacht ist sie auf ihrer zu kurzen Couch, neben ihr auf dem Boden die aufgeschlagene Akte Benedikt Fuhrer. Das Licht hat gebrannt, ihre Augen auch. Draußen vor dem Fenster hat die gefiederte Schar getschilpt und gezwitschert, als hätte sie was zu feiern. Möglicherweise Weltvogeltag. Guten Morgen! Duschen, Koffein, Aspirin. Soll niemand sagen, dass sie nach gefühlten drei Stunden Schlaf kein ernst zu nehmendes Arbeitstier geben kann. Der Fuhrer wird eine erholsamere Nacht gehabt haben. Wahrscheinlich geschlafen wie ein Baby in seiner Zweimannzelle auf der Pritsche. Immerhin hatte er die Ehre, ihre letzten Gedanken vor dem Einschlafen und ihre ersten nach dem Aufwachen zu bestimmen. Schaffen nicht viele Mannsbilder.
Sie hat das Gefühl, gerade gelebt zu werden. Von einem gleichgültigen Fremden. Kein Interesse hat der, sie das Leben spüren zu lassen, nur mit der Monotonie kennt er sich aus. Im Kreis dreht sie sich, ein Karussellpferd, das nicht vom Fleck darf. Festgeschmiedet. Den Spaß haben die Reiter. Vielleicht ist es ja bloß die Müdigkeit, die schwarze Gedanken hervorzerrt. Das sind die Zeiten, in denen die Ermittlerin ihren Job verwünscht und sich am liebsten die nächsten Tage im verdunkelten Schlafzimmer verkrochen hätte. Stattdessen hat sie sich ins Auto gesetzt und ist in den Knast gefahren. Immerhin nicht eingefahren. Es ginge noch trister. Das Glas ist halb voll.
J ustizvollzugsanstalt Stadelheim – oder Sankt Adelheim, wie der Volksmund den Namen früher verkleidet hat. Kurort für die Auserwählten. Einfaches Dasein in gesiebter Luft. Manch einer findet sich dort besser zurecht als in der damischen Welt draußen. Weil es schwindlig macht, wenn sie sich dreht und kreiselt und dich nicht aufspringen lässt. Allerweil nur den geifernden Gaffer zu geben, bis dir die Augen aus dem Kopf fallen – da musst du speien und dreinschlagen, bis sie dich endlich wieder abholen und wegsperren.
Wie eine Warze prangt das Gefängnis mitten im Gesicht der Stadt in Obergiesing.
Tausendfünfhundert Menschen sitzen aktuell ein. Manch eine Gestalt schaut jeden Herbst vorbei, um im Warmen zu überwintern. Falls du dich nicht benehmen kannst, kümmert sich die Sicherungstruppe im Kettenhemd samt Spezialpistole mit Pfefferspray-Gel um dich. Schließlich hast du einen richterlich garantierten Schlafplatz, rausschmeißen ist nicht vorgesehen.
J etzt sitzt die Ermittlerin dem Fuhrer gegenüber. Zwei Stühle, ein Resopaltisch, eine Telefonanlage, ein Justizbeamter im Eck. Sosehr sie sich auch vorbereitet, der klaustrophobische Moment schlägt immer zu. Als wenn ihr ein unsichtbarer Kobold die Gurgel abdrückt oder auf ihrem Brustkorb sitzen würde. Ihr schützendes Mantra ist der Gedanke, bald wieder draußen zu sein, bei Regen und Wind.
»Grüß Gott, Herr Fuhrer.«
»Grüß Gott, Frau ...?«
»Wiesner, Oberkommissarin, Mordkommission.«
»Mordkommission, aha. Wie komm ich zu der Ehre?«
»Ich hab mich bei den Ärzten erkundigt. Das sieht ja nicht so gut aus.«
Der Fuhrer schaut an ihr vorbei und zuckt mit den Schultern.
»Sterben müssen wir alle, Frau Oberkommissarin, auch Sie.«
»Stimmt schon. Aber höchstwahrscheinlich lass ich Ihnen dabei den Vortritt. Sie wird es bald vom Stangerl hauen.«
Ihr ungerührtes Lächeln scheint ihn nervös zu machen.
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