Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
Das hat er sich selbst eingebrockt. Er beginnt, an den Fingernägeln zu kauen, wirft ihr dabei immer wieder einen Blick zu.
»Herr Fuhrer, gibt’s was von Ihrer damaligen Aussage, was Sie verändern wollen?«
Der Mann reißt die Augen auf und nimmt den Zeigefinger aus dem Mund. Er klatscht mit den Handflächen auf die Tischplatte und lehnt sich nach vorn.
»Soll ich beichten, bevor ich abkratz? Ich hab gedacht, da kommt der Pfarrer. Ich hab nix zu beichten. Außer, dass ich froh bin, dass den Wessold wer abgestochen hat. Froh – verstehen Sie. Ich tät ihm gratulieren, auch wenn ich wegen ihm da sitz.«
»Der Unbekannte – wie soll der ausgesehen haben?«
»Ich hab das alles schon hundertmal gesagt. Herrgott – ich weiß es nicht. Ich war besoffen. Er war in Schwarz. Das war ja höchstens eine Sekunde. Das hat nie jemanden interessiert. Aber wissen Sie was? Inzwischen ist es egal. Vielleicht war ich es ja doch. Könnt sein, oder?« Er kratzt sich in gespielter Nachdenklichkeit am Kopf. »Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich war es.«
»Breit oder schmal?«
»Was?«
»Der schwarze Mann.«
»Ziemlich massiv. Hätten Sie halt meine Aussage gelesen, Ihre Hausaufgaben gemacht, Frau Oberdings.«
»Da gibt’s Leut, die glauben, dass Sie unschuldig sind.«
»Ja? Kann schon sein. Ich frag mich, warum Sie hier sind.«
»Der Wessold, was hat der so gemacht? Der hat ja rumerzählt, Ihre Frau ...«
»Die Theresa ist keine Hure. Das darf niemand behaupten! Und Sie halten das ...«
»Reden wir über den Wessold.«
»Drogen hat er verkauft, jeder hat das gewusst. Und gestohlene Ware. Das hat die Polizei nicht interessiert.«
»Wir wissen von diesem Zahnarzt.«
»Die Theresa ist keine Hure! Meinen Sie vielleicht, ich hätte das zugelassen, wenn ich es geahnt hätte? Das Geld hätte ich schon irgendwie aufgetrieben. Scheißegal wie. Sie hat sich Sorgen gemacht, wegen dem Kind und so – alles ist so scheißteuer. Die Zähne hätt ich diesem Scheißzahnarzt ausgeschlagen. Jeden einzelnen.«
»Warum haben Sie das nicht? Hätte ich verstanden.«
»Die Theresa. Sie hat gesagt, ich darf nicht so blöd sein. Unser Sohn braucht mich.« Der Häftling starrt ins Leere und nickt. Sein Atem geht schwer, seine Hände sind zu Fäusten geballt. Vielleicht schwelgt er gerade in der Phantasie, wie er den Doktor unter sich hat und auf ihn eindrischt. Schade. Das hätte die Theresa nicht verhindern sollen, denkt sich die Wiesner. Die alttestamentarische Lösung. Zahn um Zahn. Der Arzt hätte lernen können. Begreifen, dass die Würde den Leuten etwas bedeutet, auch wenn es in diesem Fall eine rustikale Lektion gewesen wäre. Unantastbar ist sie nicht nur hinter der Wohlstandsfassade. Die Entschlossenheit der Polizistin nimmt zu, dem Zahnarzt die vorenthaltene Abreibung zu verschaffen. Den Saubären galt es festzunageln, ob er in den Tod Wessolds verwickelt wäre oder nicht.
»Woher hat der Wessold das gewusst? Und wie heißt der Arzt?«, will sie vom Fuhrer wissen.
Der erwacht aus seinem Tagtraum. Ernüchterndes Erlebnis.
»Ich will wieder in die Zelle. Ich bin krank.«
So käme sie nicht weiter, das sieht sie dem Mann an. Der Schalter ist geschlossen.
»Hat er Freunde gehabt, der Wessold, in der Siedlung?«
Der Fuhrer springt plötzlich auf, lehnt sich über den Tisch.
»Hinsetzen, Fuhrer«, herrscht ihn der Justizbeamte an.
Die Wiesner streckt beruhigend eine Hand nach hinten aus.
»So einer hat keine Freunde, höchstens Lakaien«, zischt ihr Gegenüber. Das Gelb seiner Augen gibt ihm ein seltsames Aussehen. Als käme er von einem anderen Planeten. Kommt er auch. Vom Planeten »Hoffnungslos«. Keine weite Reise, ein Katzensprung.
»Sein Speichellecker ist der Hofer Peter gewesen«, fährt er fort, »kurz nach mir ist der eingefahren. Ich hab ihn gesehen – hier. Das war eine Freude, Frau Oberkommissarin.«
»Und Ihre Freunde? Haben die Sie vergessen?«
Der Fuhrer zeigt ein ungepflegt-fleckiges Gebiss, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. Die Wiesner starrt auf einen gesplitterten Schneidezahn.
»Darf ich jetzt endlich zurück, Frau Oberkommissarin?«
V erwirrt sitzt die Ermittlerin im Wagen. Fuhrers Rolle bleibt rätselhaft. Wenn er von der Entführung gewusst hätte, wäre er kooperativer gewesen. Er hat nichts Erhellendes beigetragen. Wenn er es nicht weiß, warum diese Reaktion bei Erwähnung seiner Freunde? Seit sechs Monaten besucht ihn nur noch seine Frau. Davor, eher spärlich, ein paar
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