Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
sind ihm nicht über die Lippen gekommen. Angst hat er gehabt, dass er es nicht mehr stoppen kann, wie das Hochwasser, das den Damm einreißt. Und dann schösse ihm ein Schwall aus dem Mund, dabei will er die Frau nicht überschwemmen. Nicht einmal seinen Blick hat er kontrollieren können. Der ist im Antlitz der Frau hängen geblieben wie das Eisen am Magnet. Ihre Lippen, die immer einen Spalt geöffnet waren und das Weiß ihrer Schneidezähne ahnen ließen, als wäre die Frau in beständigem atemlosen Erstaunen über sich und ihre Umgebung gefangen, könnte er mit verbundenen Augen rekonstruieren. Ihr Gesichtsausdruck wird ernst und nachdenklich, in ihren Iriden tanzen winzige Schatten. Das Losreißen ist eine schwere Übung gewesen.
Wie sich die Tür hinter ihm schließt, kommt ihm ein Lächeln aus. Seine Ohren glühen. Manchmal ist die Arbeit keine Arbeit.
Dreißig Minuten später nimmt er den Satz zurück. Er sitzt inmitten quirliger Kleinkinder im vollgestellten Wohnzimmer eines Obergiesinger Wohnblocks, während die rumänische Altenpflegehelferin ihn bequatscht. Sie malträtiert dabei mit dem Bügeleisen die Wäsche, als wäre sie Schuld am Verschwinden von Frau Brauner.
Der Hartinger bekommt von pappigen Kinderhänden ständig Spielzeug und Krimskrams auf den Schoß geworfen, um es zu kommentieren.
»Schau mal, Auto.«
Erkenntnisgewinn gleich null. Allerdings ist die Wohnung kärglich und schmucklos eingerichtet. Wände und Fußboden annähernd kahl. Sie könnten einen Zuverdienst gebrauchen. Auf dem überdimensionierten Flatscreen, der das Wohnzimmer beherrscht, flippen animierte glupschäugige Scheußlichkeiten herum. Ihre Piepsstimmen plappern von wahrer Freundschaft daher. Der Hartinger muss seinen Blick davon abwenden, bevor es ihm das Hirn eindampft.
Ihr Mann wäre Fernfahrer, erzählt die Frau, immer nur ab und zu da. Weite Touren auf den Balkan. Hartes Brot. Und die Kinder erkältet, sonst in Krippe und Kindergarten. Gefühlte siebenundzwanzig Mal muss er ihr versichern, dass sie keinen Ärger bekommen wird. Eine Litanei ohne meditativen Charakter. Immer aufgeregter wird sie. Zum Schluss hätte er ihr jederzeit einen Ablassbrief ausgestellt, mit polizeilichem Siegel, allein, um die Wohnung wieder verlassen zu können.
Die Kinder haben mit Staunen in den Augen zu ihm aufgesehen, als ihre Mutter zum Lamentieren angesetzt hatte. Es hat den Polizisten eine Viertelstunde gekostet, vom Häuflein Elend die unbegründeten Ängste auszusieben. Vom Rest hat er sich dann verabschieden können.
Wie er wieder im Fahrzeug sitzt, schnauft er tief durch. Auf seiner Hose sind Flecken unterschiedlicher Herkunft, Schweiß steht ihm auf der Stirn.
Mit den Pflegekräften würden sie nicht weiterkommen. Von denen hatte keiner die alte Brauner daheim sitzen oder im Keller verpackt. Schnapsidee von der Wiesner. Er kontrolliert sein Handydisplay. Eine SMS hat er bekommen. Von der Isabella. »Wie wär’s mit heut Abend?«
Ein Stück vom Glück, ab und an – damit sich das Aufstehen lohnt. Er will darüber nicht nachdenken. Denn wenn erst das Zaudern daherkäme, müsste er es niederringen. Und das wäre ein Kraftakt. Es steht immer wieder auf. Es hat so viel Erfahrung gefressen, dass es bärenstark geworden ist. Du kannst es nur von hinten überrumpeln.
Ein großes »G« tippt er in die Tasten. »G« wie gern.
G wie Gruber. Doktor Baltus Gruber. Die Wiesner parkt den Peugeot nicht weit von Sandners Schlafstätte entfernt am Straßenrand. Vom Wohnblock des Indianers wären es mit dem Bus zwei Stationen. Unscheinbarer sechsstöckiger Block in strahlendem Weiß ineiner unscheinbaren Straße. Selbst das Zahnarztschild an der Fassade ist erst auf den zweiten Blick zu entdecken. Als würde er sich verstecken wollen, der Doktor Gruber, oder nur Initiierte einladen. Totenstill ist es im Gebäude, nur die Schritte der Ermittlerin hallen durchs Treppenhaus. Mit dem Aufzug fährt sie in den dritten Stock.
Es ergeht dem Zahnarzt nicht anders wie dem Polizisten. Wenn du auf ihn triffst, hast du meistens ein Malheur. Weihnachten kommt anders daher. Die Wiesner allerdings spürt stille Vorfreude. Wenn halbwegs stimmt, was sie eruiert hatten, wird es der Herr Doktor schwer haben mit ihr. Vielleicht sollte sie sicherheitshalber ihre Dienstwaffe entladen. Unfälle sind ruckzuck passiert. Die Kastration eines Zuchtebers mit Doktortitel wäre eine pralle Schlagzeile. Allerdings schlechte Presse fürs K11. Nein, sie wird nicht die
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