Der Tod kann warten: Kriminalroman (Sandner-Krimis) (German Edition)
zu melden?«, quäkt der Wenzel. »Oder es sogar selbst getan. Das wäre Ihre Pflicht.«
Der Sandner möchte die Wiesner schütteln und aus dem Zimmer schubsen. Aber er bleibt ruhig stehen. Jeder trifft seine eigenen Entscheidungen.
»Wir haben so erwogen, um die Identität des Hauptkommissars nicht preisgeben zu müssen. Gefahrenabwägung. Wir hätten sonst keine Erkenntnisse ...«
»Erkenntnisse? Welche Erkenntnisse?«, spöttelt der Wenzel. »Mir sind keine bekannt – oder haben Sie beschlossen, die für sich zu behalten? Sie ermitteln bei der Polizei und nicht bei einem Geheimbund.«
»Ganz langsam«, fährt der Polizeirat dazwischen, »jetzt möchte ich die Darstellung von Herrn Hauptkommissar Sandner.«
Der Sandner schildert seinen Kneipenbesuch, zumindest den Teil mit der entwendeten Jacke. Auch den Schlafplatz beim Indianer bringt er zur Sprache, der ihm von einem Freund empfohlen worden ist. Dass er bei Yilmaz gewesen wäre, weil er dessen Sohn mit seiner Jacke gesehen habe und aus. Mehr habe er nicht beizutragen.
»Und zum Thema Wessold«, will der Sheriff wissen, »gibt’s da Neuigkeiten?«
Der Sandner sieht ihm ins Mondgesicht und zuckt mit den Schultern. Dir sag ich nichts, denkt er sich, dir garantiert nicht.
»Die Frau Yilmaz hat Todesangst vor Ihnen gehabt, hat sie mir gesagt. Sie sind sehr bedrohlich aufgetreten. Sie könnte sich gut vorstellen, dass Sie ihren Mann getötet haben, sagt sie. Und wer sagt uns, dass Sie den Yilmaz nicht später getroffen haben und der Verlust der Waffe sich so abgespielt hat, wie Sie behaupten?«, ergänzt der Wenzel.
»Einen Moment«, setzt der Polizeirat an. Zu spät. Er kann die Lunte nicht mehr löschen. Der Sandner explodiert.
»Sowieso«, brüllt er den Wenzel an, »und dann brenn ich dem Yilmaz ein Loch in den Pelz. Schadet ja nix. Und meld meine Waffe als gestohlen. Motiv? Seine dreckerte Visage. Keiner macht sich ungestraft mit meinem Jackerl davon. Wäre ja noch schöner. So malt sich das Ihr Hirn aus? Depperter geht’s nimmer, oder was?«
»Sie sind sehr leicht zu provozieren, Herr Sandner, das weiß jeder. Und so dumm will man auch nicht dastehen und sich bestehlen lassen – wie ein blutiger Anfänger. Eine Eskalation ist schnell passiert.«
Der Wenzel muss seinen Text daheim vor dem Spiegel geübt haben. Er ist vorbereitet. Er stochert im Wespennest.
Durchschnaufen. Ganz langsam jetzt. Mit ihm nicht. Er fühlt die Schweißperlen an seinen Schläfen. Plötzlich schießt Ruhe in ihn ein, als hätte er sich Valium intravenös gegeben. Mit dem Rücken zur Wand hat der Sandner allerweil die nötige Klarheit, den Blick fürs Wesentliche. Er wird nicht beidrehen, um vom Wenzel eine Breitseite nach der anderen zu kassieren. Lieber unter vollen Segeln voran. Soll der Gschaftlhuber seine Kugeln verschwenden. Schifferl versenken kann er auch.
»Und jetzt?«, fragt er den Polizeirat mit ruhiger Stimme, die Tatkraft vermitteln soll. »Der Yilmaz ist aktenkundig, haben’S seine Wohnung wenigstens durchsucht?«
»Da war absolut nichts, was uns hilft«, vermeldet der Sheriff, »der ist sauber. Und der Indianer schweigt – von dem kam bisher kein Wort.«
Herrschaftszeiten! Wohin soll das Koks verschwunden sein? Noch in der Wohnung vom Chingachgook? Oder hat Yilmaz’ Eheweib den Stoff entsorgt? Der Sandner ist verblüfft. Man hätte die Wohnung observieren sollen! Statt depperte Berichte in dreifacher Ausfertigung abzufassen. Er hätte sich bei der Wohnung aufbauen müssen, verfluchter Mist! Grandios. Seine Miene ist unbeweglich, die glatte Oberfläche eines tiefen Brunnens. Schon mancher soll darin ertrunken sein.
Der Polizeirat klatscht in die Hände und weist dann zur Tür.
»Wir halten Sie auf dem Laufenden. Die leitende Ermittlerin, Oberkommissarin Wiesner, gibt Ihnen in zehn Minuten bei der Lagebesprechung noch die neuesten Erkenntnisse zum Mordfall Yilmaz. Inklusive aktueller Aufgabenstellung. Ich erwarte, dass Ihre Polizeiinspektion 47 in diesem Fall ab jetzt alle geplanten Aktionen mit der leitenden Ermittlerin abspricht und ihre Entscheidungen mitträgt. Sie ist weisungsbefugt. Die Vernehmung von Zeugen, Hausdurchsuchungen sowie die Verhaftung möglicher Tatverdächtiger inklusive. Sind wir uns da einig?«
Der Inspektionsleiter zuckt zusammen und nickt. Er leckt sich nervös die Lippen. Die Wendung des Gesprächs kommt als Überraschungspaket daher. Sie hatten sich weit aus dem Fenster gelehnt und auf der sicheren Seite gewähnt.
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