Der Tod kommt in schwarz-lila
sich. »Willst du wissen, wie die Geschichte weitergeht?« Sie legte einen Aktenordner auf den Tisch.
»Was ist das?«, fragte Trevisan erstaunt.
»Die Polizeiakte von Sven Sörensen«, entgegnete Monika.
»Sven Sörensen muss danach die Hölle erlebt haben. Seine Mutter war streng religiös. Sie und sein Vater behandelten ihn wie einen Mörder. Sie machten ihn für den Tod der Geschwister verantwortlich und verziehen ihm nie. Am 10. Juni 1989 kommt es zwischen dem Sohn und dem Vater zum Eklat. Sven sticht wie ein Rasender auf seinen Vater ein. Am Ende zählt der Leichenbeschauer über vierzig Messerstiche in Brust, Bauch, Hals und Gesicht. Zwölf davon sind tödlich. Sven Sörensen wird verhaftet und kommt in Untersuchungshaft. Doch es kommt nie zum Prozess. Ein Psychologe erklärt ihn für geistig gestört und unzurechnungsfähig. Sörensen kommt in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie in Wehnen. Im Herbst 1998 wird er als geheilt entlassen. – Übrigens, Tauchen hat er in einer Therapie gelernt«, beendete Monika ihren Vortrag.
»Gibt es eine Adresse, einen Aufenthaltsort?«, fragte Trevisan neugierig.
»Er gab die Adresse seiner Mutter an. Sie wohnt in Itzendorf. Das liegt kurz hinter Norden am Hohen Riff.«
»Dann müssen wir so schnell wie möglich …«
»Wir werden nichts überstürzen«, unterbrach Frau Schulte-Westerbeck. »Wir haben eine Überwachung des Hauses organisiert. Vielleicht kehrt er dorthin zurück.«
»Er hat übrigens in Wittmund den gestohlenen VW abgestellt«, sagte Kriminaldirektor Beck. »Eine neue Diebstahlsanzeige liegt noch nicht vor.«
»Und wenn er nicht nach Hause zurückkehrt?«, gab Trevisan zu bedenken. »Schließlich hat er sich lange genug in unserer Gegend herumgetrieben.«
»Warum sollte er das nicht machen?«, warf Margot Martinson ein. »Das Haus scheint ein idealer Unterschlupf. Außerdem hat er getan, was er tun wollte. Was könnte er hier noch wollen? Sie hatten mit Ihrer Theorie von Anfang an recht. Nur Hansen, Grevenstedt und Lüdke waren seine ausgewählten Opfer. Hansen starb am 18. Mai, das war der Tag, als sich damals der Unfall ereignet hatte. Grevenstedt wurde am 10. Juni ermordet, dem Tag des Vatermordes, und wir kennen nun die Bedeutung des 2. Juli. Am 2. Juli 1987 förderten nämlich ein paar Fischer vor Wangerooge einen grausigen Fund zu Tage. Ein Junge, verstrickt in ein abgerissenes Netz. Es war der verunglückte Torben Sörensen. Am 2. Juli starb Lüdke. Sven Sörensen hat jedem seiner ausgewählten Opfer den Finger abgeschnitten und am Kreuz in Wangerooge als Opfergabe dargebracht. Nach seiner Vorstellung hat er damit seine Schuld gesühnt. Es gibt nichts mehr zu tun für ihn.«
»Was wird er Ihrer Meinung nach jetzt machen?«, fragte Trevisan.
»Viele in seiner Lage richten sich selbst«, erwiderte Martinson. »Ganz wenige stellen sich der Polizei.«
»Und wenn wir uns irren? Wenn er mit seinem Rachefeldzug noch nicht fertig ist?«, hakte Trevisan nach.
»Wen sollte er jetzt noch umbringen wollen? Er hat seine Verantwortung an dem Unfall, an dem Tod seiner Geschwister und an seiner ungewollten Rettung auf seine Retter übertragen. Er ist jetzt frei von Schuld. Über die Zufallsopfer denkt er überhaupt nicht nach. Sie existieren in seiner Vorstellung nicht. Er wacht langsam aus seinem Alptraum auf. Ich glaube, dass er sich seit diesem Unfall noch nie so zufrieden und glücklich gefühlt hat wie jetzt.«
»Eine sonderbare Art der Vergangenheitsbewältigung«, warf Tina Harloff ein.
»Oh, verstehen Sie es nicht falsch. Er bewältigt keine Vergangenheit. Er rückt nur etwas gerade, was aus dem Lot gekommen ist.«
»Aber weshalb?«
»Sie hinderten ihn an weiteren Rettungsversuchen und sie verhinderten, dass er seinen Geschwistern auf ihrem Weg folgen konnte«, folgerte Margot Martinson.
»Das ist doch verrückt«, sagte Till Schreier.
»Es ist seine Realität«, antwortete Trevisan.
»Was soll das bedeuten?«
»Auf uns mag er wie ein Verrückter wirken«, erklärte Margot Martinson, »doch er lebt in einer anderen Welt. Er hat seine eigenen Gesetze und Regeln aufgestellt und genau das macht ihn so gefährlich.«
»Der typische Verrückte unserer Klischeevorstellung handelt meist irrational«, ergänzte Trevisan. »Er tötet, aber er macht dabei Fehler. Seine Stimmungen sind sprunghaft und nicht immer durch logisches Handeln bestimmt. Sörensens Welt mag uns verrückt erscheinen, doch er handelt zielgerichtet und überlegt
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