Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
jedenfalls beneide Sie nicht darum, gegen diesen Sturm ankämpfen zu müssen.«
Der Colonel drehte sich an der Tür um, sah Alveston an und sagte kühl: »Nur gut, dass niemand Sie gebeten hat, mich zu begleiten.« Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung von der ganzen Gesellschaft und ging.
Im Zimmer wurde es still. Alle dachten über die Abschiedsworte des Colonels nach und fanden den nächtlichen Ausritt merkwürdig, schwiegen jedoch peinlich berührt. Nur Henry Alveston schien die Sache nicht weiter zu bekümmern, obwohl ihm, wie Elizabeth mit einem Blick auf sein Gesicht feststellte, die angedeutete Kritik nicht entgangen war.
Nach einer Weile brach Bingley das Schweigen. »Lass uns doch noch ein bisschen Musik hören, Georgiana, falls du nicht zu müde bist. Aber trink ruhig erst einmal deinen Tee aus. Wir wollen deine Gefälligkeit nicht überstrapazieren. Wie wäre es mit den irischen Volksliedern, die du gespielt hast, als wir letzten Sommer hier diniert haben? Du brauchst nicht zu singen, die Musik allein reicht völlig – schone deine Stimme! Soweit ich mich erinnern kann, haben wir damals auch getanzt. Aber da waren die Gardiners hier und Mr. und Mrs. Hurst, alles in allem fünf Paare, und Mary hat für uns gespielt.«
Georgiana setzte sich wieder ans Klavier. Alveston blieb neben ihr stehen und blätterte um, und die munteren Melodien verfehlten ihre Wirkung nicht. Danach unterhielt man sich etwas halbherzig, tauschte schon oft geäußerte Meinungen und Familientratsch aus, der ebenfalls nicht neu war. Nach einer halben Stunde tat Georgiana den ersten Schritt und wünschte allen eine gute Nacht. Nachdem sie an der Glockenschnur gezogen hatte, um ihre Zofe herbeizuholen, zündete Alveston eine Kerze an, reichte sie ihr und geleitete sie zur Tür. Als Georgiana gegangen war, hatte Elizabeth den Eindruck, dass der Rest der Gesellschaft zwar müde war, sich aber nicht dazu aufraffen konnte, aufzustehen und sich zu verabschieden. Als Nächste erhob sich Jane. Sie warf ihrem Mann einen Blick zu und murmelte, es sei nun Zeit, schlafen zu gehen. Dankbar folgte Elizabeth ihrem Beispiel wenig später. Ein herbeigerufener Diener brachte die Nachtlichter, zündete sie an und löschte die Kerzen auf dem Klavier. Alle strebten der Tür zu, da rief plötzlich Darcy, der noch am Fenster stand: »Was denkt sich dieser Tölpel von einem Kutscher – gleich kippt der ganze Wagen um! Das ist ja Wahnsinn! Und wer sitzt überhaupt darin? Elizabeth, erwarten wir noch jemanden?«
»Nein.«
Elizabeth und die anderen drängten ans Fenster und sahen weit hinten auf der Waldstraße eine Kutsche, die sich schlingernd und schwankend dem Haus näherte. Die beiden Seitenlichter flackerten wie kleine Flammen. Was sie wegen der großen Entfernung nicht sehen konnten – die sturmgepeitschten Pferdemähnen, die wilden Augen und angespannten Flanken der Tiere, den mit den Zügelleinen knallenden Kutscher –, lieferte ihnen die Fantasie. Noch konnte man die Räder nicht hören, und Elizabeth glaubte eine wahre Geisterkutsche zu sehen, die wie ein schrecklicher Vorbote des Todes lautlos durch die Mondnacht flog.
»Bingley, du bleibst bei den Damen. Ich sehe mir das Ganze einmal näher an«, sagte Darcy.
Der Wind, der in diesem Moment wieder durch den Kamin heulte, hatte Darcys Worte übertönt. Deshalb verließ die ganze Gesellschaft mit ihm das Musikzimmer und folgte ihm über die Haupttreppe in die Eingangshalle. Stoughton und Mrs. Reynolds waren schon da. Auf eine Handbewegung Darcys hin öffnete Stoughton die Tür. Sofort brauste der Wind herein, eine kalte, unbezwingbare Kraft, die vom ganzen Haus Besitz zu ergreifen schien und mit einem Schlag alle Kerzen außer denen hoch oben im Kronleuchter löschte.
Die immer noch rasende Kutsche bog schaukelnd um die Kurve am Ende der Waldstraße und fuhr auf das Haus zu. Elizabeth war überzeugt, dass der Wagen durch die Tür brechen würde. Doch dann hörte man schon die Rufe des Kutschers und sah ihn an den Leinen zerren. Die Pferde wurden zum Halten gebracht und blieben unruhig wiehernd stehen. Noch ehe der Kutscher vom Bock steigen konnte, ging die Wagentür auf, und in dem Lichtstreifen, der aus Pemberley fiel, erblickten alle eine Frau, die, gegen den Wind anschreiend, beinah aus dem Wagen stürzte. Der Hut hing ihr an den Bändern um den Hals, und das offene Haar wehte ihr so heftig ums Gesicht, dass sie wie ein wildes Nachtgeschöpf wirkte oder wie eine der
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