Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
wenn er ein mittelloser Hilfspfarrer gewesen wäre oder ein am Hungertuch nagender Anwalt? Es fiel ihr schwer, sich Mr. Fitzwilliam Darcy als einen solchen Mann vorzustellen, aber in ehrlichen Momenten musste sie zugeben, für die tristen Notbehelfe der Armut nicht geschaffen zu sein.
Der Wind frischte weiter auf. Das Heulen und Pfeifen im Kamin und das immer wieder aufflackernde Feuer begleiteten die beiden Sänger. Elizabeth erschien der Aufruhr der Natur wie der Discantus der miteinander verschmelzenden Stimmen und als die passende Begleitung ihrer wirbelnden Gedanken. Sie hatte sich bei starkem Wind noch nie geängstigt, sondern es immer genossen, sicher und gemütlich im Haus zu sitzen, während der Sturm ziellos durch den Wald von Pemberley toste. Jetzt aber kam er ihr wie eine böse Kraft vor, die sich durch jeden Kamin und jeden Winkel Eintritt verschaffen wollte. Sie neigte nicht zu Hirngespinsten und versuchte sich der morbiden Vorstellungen zu erwehren, doch ein Gefühl, das sie zum ersten Mal empfand, ließ sich nicht unterdrücken, und sie dachte: Da sitzen wir zu Beginn eines neuen Jahrhunderts, Bürger des zivilisiertesten Landes in Europa, umgeben von den Preziosen seiner Handwerker, seiner Kunst und seiner literarischen Erzeugnisse, während draußen eine andere Welt besteht, die durch Reichtum, Bildung und Vorrechte von uns ferngehalten wird, eine Welt, mit Männern so gewalttätig und zerstörerisch wie Tiere. Vielleicht werden nicht einmal die Privilegiertesten von uns sie ewig ignorieren und sich für alle Zeit vom Leib halten können.
Sie versuchte, in der Harmonie der beiden Stimmen Ruhe zu finden, war aber froh, als das Stück endete und sie mit dem Dienstbotenglöckchen nach dem Tee läuten konnte.
Billings, einer der Diener, brachte den Tee auf einem Tablett herein. Im Frühling würde er Pemberley verlassen, um, wenn alles glattging, dem alten Butler der Bingleys nachzufolgen, der seinen Ruhestand antreten wollte. Billings’ Status würde sich dadurch erhöhen, was ihm umso mehr zupass kam, als er sich an Ostern des vorletzten Jahres mit Thomas Bidwells Tochter Louisa verlobt hatte, die ihn als Zimmermädchen nach Highmarten begleiten sollte. Elizabeth hatte sich während ihrer ersten Monate in Pemberley über die starke Verbindung zwischen der Familie und den Dienstboten gewundert. Wenn Darcy und sie, was selten vorkam, in London waren, wohnten sie in ihrem Stadthaus oder bei Bingleys Schwester, Mrs. Hurst, und deren Mann, die hochherrschaftlich residierten. In dieser Welt lebte das Personal so abgeschnitten von der Familie, dass Mrs. Hurst meist nicht einmal wusste, wie die Menschen hießen, die sie bedienten. Mr. und Mrs. Darcy wurden zwar von allen Problemen des Haushalts sorgsam abgeschirmt, doch manche Ereignisse – Hochzeiten, Verlobungen, Stellenwechsel, Krankheit oder der Eintritt in den Ruhestand – stachen aus der nie nachlassenden Betriebsamkeit hervor, die dafür sorgte, dass in Pemberley alles wie am Schnürchen lief, und beiden war es wichtig, solche Übergangsrituale zu respektieren und zu feiern, da sie nun einmal zu dem ihnen trotz allem größtenteils verborgenen Leben gehörten, von dem ihr Wohlbehagen sosehr abhing.
Billings setzte das Teetablett mit einer bewusst anmutigen Geste vor Elizabeth ab, als wollte er Jane zeigen, wie würdig er der bevorstehenden Ehrung sei. Er und seine junge Ehefrau würden es gut haben, dachte Elizabeth. Wie ihr Vater prophezeit hatte, waren die Bingleys großzügige, verträgliche und leicht zufriedenzustellende Arbeitgeber, die es nur in der Sorge umeinander und um ihre Kinder sehr genau nahmen.
Kaum hatte Billings den Raum verlassen, erhob sich Colonel Fitzwilliam von seinem Stuhl und trat vor Elizabeth hin. »Ich bitte um Verzeihung, Mrs. Darcy, aber ich möchte mich jetzt meiner nächtlichen Ertüchtigung widmen und Talbot am Fluss entlang ausreiten. Es tut mir leid, eine so fröhliche Familienzusammenkunft zu verlassen, doch ohne ein wenig frische Luft vor dem Zubettgehen schlafe ich schlecht.«
Elizabeth versicherte ihm, dass er sich nicht zu entschuldigen brauche. Er hob in einer für ihn ungewöhnlichen Geste kurz ihre Hand an seine Lippen und wandte sich zum Gehen.
Henry Alveston saß mit Georgiana auf dem Sofa. Jetzt blickte er auf und sagte: »Das Mondlicht am Ufer ist zauberhaft, Colonel, am zauberhaftesten allerdings, wenn man es in Gesellschaft betrachtet. Aber für Talbot und Sie wird es hart werden. Ich
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