Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
hübsches Gesicht schön darstelle und mehr Zeit und Farbe auf die Kleidung der Porträtierten als auf ihre Züge verwende. Da alle männlichen Hardcastles eine Schwäche für denselben Typus weiblicher Schönheit gehabt hatten, beschien der dreiarmige Leuchter, den Buckle nun in die Höhe hielt, der Reihe nach die immer gleich aussehende schlecht gemalte Schnute unter böse dreinschauenden Froschaugen, während Satin und Spitze auf Samt folgten, die Seide den Satin ersetzte und schließlich dem Musselin wich. Die Männer schnitten besser ab und blickten mit ihrer von einer Generation an die nächste vererbten Hakennase, den buschigen, im Vergleich zum Haupthaar viel dunkleren Brauen und dem breiten Mund mit den fast blutleeren Lippen selbstbewusst auf Darcy hinunter. Hier, so konnte man glauben, sah man den gegenwärtigen Sir Selwyn, von ausgezeichneten Malern durch die Jahrhunderte hindurch verewigt, in all seinen Rollen: als verantwortungsbewussten Herrn und Landbesitzer, als Familienvater, Wohltäter der Armen, in prachtvoller Uniform mit Amtsschärpe als Captain der Freiwilligenarmee von Derbyshire und zuletzt als Friedensrichter, streng und hart, aber gerecht. Nur die wenigsten Besucher von Sir Selwyn, ausnahmslos schlichte Gemüter, zeigten sich nicht tief beeindruckt und angemessen eingeschüchtert, wenn sie die Gegenwart erreicht hatten.
Darcy folgte Buckle in einen schmalen Gang, der zum rückwärtigen Teil des Hauses führte; an dessen Ende öffnete der Butler ohne anzuklopfen eine schwere Eichentür und verkündete mit überlauter Stimme: »Mr. Darcy von Pemberley möchte Sie sprechen, Sir Selwyn.«
Selwyn Hardcastle erhob sich nicht. Er saß in einem Armsessel neben dem Kamin und trug seine Raucherkappe. Die Perücke hatte er auf einem runden Tisch neben sich abgelegt; auch eine Flasche Portwein und ein halb gefülltes Glas standen dort. Er las in einem dicken Buch, das in seinem Schoß lag und das er nun mit sichtlichem Bedauern zuschlug, nicht ohne vorher sorgsam ein Lesezeichen eingelegt zu haben. Die Szene glich so sehr einer lebenden Kopie seines Porträts als Friedensrichter, dass Darcy beinahe glaubte, den Maler nach beendeter Sitzung taktvoll zur Tür hinaushuschen zu sehen. Das Feuer war offensichtlich kurz zuvor versorgt worden und brannte lodernd. Darcy musste gegen das Knacken der Scheite und das Knistern der Flammen ansprechen, als er sich für seinen Besuch zu so später Stunde entschuldigte.
»Keine Ursache«, erwiderte Sir Selwyn. »Ich beende meine tägliche Lektüre selten vor ein Uhr nachts. Sie wirken verstört – es handelt sich wohl um einen Notfall. Welches Problem gibt es denn diesmal in der Gemeinde – Wilderei, Aufwiegelung, Revolte? Ist der kleine Korse endlich gelandet, oder wurde Mrs. Phillimores Hühnerstall schon wieder geplündert? Nehmen Sie doch bitte Platz! Der Stuhl mit der geschnitzten Lehne ist angeblich der bequemste und müsste Ihr Gewicht aushalten.«
Da Darcy fast immer auf diesem Stuhl saß, war auch er in dieser Hinsicht zuversichtlich. Er ließ sich darauf nieder und erzählte in knappen Worten die ganze Geschichte, ohne die drastischen Tatsachen zu kommentieren. Sir Selwyn hörte schweigend zu. Dann sagte er: »Lassen Sie mich überprüfen, ob ich Sie richtig verstanden habe. Mr. und Mrs. George Wickham und Captain Denny wurden in einer Mietdroschke nach Pemberley gefahren, wo Mrs. Wickham übernachten und am nächsten Abend an Lady Annes Ball teilnehmen wollte. Als sich die Kutsche im Wald von Pemberley befand, stieg Captain Denny zu einem bestimmten Zeitpunkt aus, nachdem es offenbar Streit gegeben hatte. Wickham folgte ihm und rief ihm nach, er solle zurückkommen. Als keiner der beiden Gentlemen wiederkehrte, bekamen Mrs. Wickham und Pratt, der Kutscher, Angst. Sie behaupten, nach etwa fünfzehn Minuten Schüsse gehört zu haben, und da die völlig aufgelöste Mrs. Wickham daraufhin natürlich ein Verbrechen befürchtete, wies sie den Kutscher an, so schnell wie möglich nach Pemberley zu fahren. Nachdem sie dort in völliger Verzweiflung angelangt war, veranlassten Sie eine Durchsuchung des Waldes, an der Sie selbst, Colonel Viscount Hartlep sowie der Ehrenwerte Henry Alveston beteiligt waren und in deren Verlauf Sie gemeinsam die Leiche von Captain Denny fanden, bei der Mr. Wickham kniete, und zwar offenbar betrunken und tränenüberströmt, Gesicht und Hände blutbeschmiert.« Nach dieser bravourösen Gedächtnisleistung legte er eine
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