Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
weniger gesellschaftliche Verpflichtungen hatte, konnte sie mehr Zeit mit ihren Kindern und mit Besuchen bei armen, alten und gebrechlichen Menschen verbringen, und nach einer Weile erkannten sie beide, Darcy und Elizabeth, dass sich an arbeitsreichen Tagen wie diesen auch der hartnäckigste Alptraum in die Schranken weisen ließ.
Und es gab auch gute Neuigkeiten. Seit der kleine Georgie wieder bei seiner Mutter lebte, war Louisa viel glücklicher, und Mrs. Bidwell empfand ihr Leben als leichter, weil Will nicht mehr vom Schreien des Kindes gestört wurde. Nach Weihnachten vergingen die Wochen plötzlich wie im Flug, und der Tag der Gerichtsverhandlung rückte rasend schnell näher.
Fünftes Buch
Der Prozess
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D er Prozess war für Donnerstag, den 22. März, 11 Uhr im Strafgerichtshof Old Bailey angesetzt. Alveston, der wieder in seiner Kanzlei in der Nähe der Anwaltskammer Middle Temple arbeitete, hatte vorgeschlagen, tags zuvor den Gardiners in der Gracechurch Street seine Aufwartung zu machen, dort mit Wickhams Verteidiger Jeremiah Mickledore die Vorgehensweise bei der Verhandlung zu besprechen und Darcy in Bezug auf dessen bevorstehende Zeugenaussage zu beraten. Da Elizabeth darauf bestanden hatte, die Fahrt in zwei Tagesetappen einzuteilen, beabsichtigten Darcy und sie, in Banbury zu übernachten und am Mittwoch, den 21. März, am frühen Nachmittag in London zu sein. Wenn die Darcys von Pemberley abreisten, wurden sie üblicherweise an der Tür von mehreren höherrangigen Dienstboten mit allen guten Wünschen bedacht und winkend verabschiedet. Diesmal aber verlief der Aufbruch gänzlich anders, denn nur Stoughton und Mrs. Reynolds waren gekommen, um ihnen mit ernster Miene eine gute Reise zu wünschen und ihnen zu versichern, dass das Leben in Pemberley während ihrer Abwesenheit genauso weitergehen werde, wie es sich gehöre.
Es brachte immer viel Unruhe in den Haushalt, wenn das Stadthaus hergerichtet werden musste. Deshalb wohnten Darcy und Elizabeth bei kürzeren Aufenthalten – um einzukaufen, sich ein neues Theaterstück anzusehen, eine Ausstellung zu besuchen oder wenn Darcy einen Termin bei seinem Anwalt oder Schneider hatte – immer bei den Hursts, wo sich dann auch Miss Bingley dazugesellte. Mrs. Hurst war jeder Besucher lieber als gar keiner, und sie pflegte die Pracht ihres Hauses, ihre zahlreichen Kutschen und Diener stets stolz zu präsentieren, während Miss Bingley geschickt die Namen ihrer bedeutenden Freunde in das Gespräch einzuflechten wusste und den aktuellen Tratsch über Skandale in den höchsten Kreisen übermittelte. Elizabeth amüsierte sich stets gern über die Angebereien und skurrilen Verhaltensweisen ihrer Nachbarn, solange sie nicht ihr Mitleid weckten, während Darcy die Auffassung vertrat, dass Zusammenkünfte mit Leuten, mit denen er kaum etwas gemein hatte, am besten auf deren und nicht auf seine Kosten erfolgen sollten. Diesmal allerdings hatten sie weder von den Hursts noch von Miss Bingley eine Einladung erhalten, denn von manchem dramatischen Ereignis, mancher traurigen Berühmtheit hält man sich nun einmal tunlichst fern. Darcy und Elizabeth hegten jedenfalls nicht die Erwartung, Miss Bingley oder das Ehepaar Hurst während des Prozesses zu Gesicht zu bekommen. Die Gardiners dagegen hatten ihnen ihre Gastfreundschaft sofort und sehr herzlich angeboten, und die Darcys wussten, dass sie in dem schlichten, behaglichen Haus ruhig und sicher untergebracht und von vertrauten, leise sprechenden Menschen umgeben sein würden, die sie nicht vereinnahmten und ihnen keine Erklärungen abverlangten. Diese Friedlichkeit, dessen waren sie sicher, würde sie für das Bevorstehende stärken.
Doch als sie in London ankamen und die Bäume und Grünflächen des Hyde Parks hinter ihnen lagen, glaubte Darcy, ein fremdes Land zu betreten, abgestandene, schlecht riechende Luft einzuatmen und von Massen bedrohlich wirkender Menschen umgeben zu sein. Niemals zuvor hatte er sich in London so fremd gefühlt. Dass sich England im Kriegszustand befand, war kaum zu erkennen; alle schienen es eilig zu haben, hasteten dahin, als wären sie nur mit ihren eigenen Belangen beschäftigt. Doch gelegentlich sah er, wie jemand die Darcy’sche Kutsche neidisch oder bewundernd musterte. Weder ihm selbst noch Elizabeth war nach Reden zumute, während sie durch die größeren, bekannteren Straßen fuhren und der Kutscher das Gefährt vorsichtig an den bunten, protzigen, von Gasfackeln
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