Der Tod kommt nach Pemberley: Kriminalroman (German Edition)
Kopfbedeckungen. Zunächst hatte er nur ihr Profil gesehen, doch als sie das Gesicht wandte und obwohl sie ihn ansah, als würde sie ihn nicht kennen, hegte er kaum einen Zweifel, dass es sich um Mrs. Younge handelte. Eigentlich hatte er es sofort gewusst.
Er beschloss, sie nicht mehr direkt anzusehen, doch wenn er den Blick gelegentlich durch den Saal wandern ließ, konnte er erkennen, dass sie teuer und mit einer Eleganz und Schlichtheit gekleidet war, die in keiner Weise zu dem grellen Pomp passte, der sie umgab. Der mit violetten und grünen Bändern versehene Hut umrahmte ein Gesicht, das seit ihrer ersten Begegnung nichts von seiner Jugendlichkeit verloren hatte. Genauso war sie gekleidet gewesen, als er und Colonel Fitzwilliam sie nach Pemberley einluden, wo sie sich als Gesellschaftsdame für Georgiana vorstellen wollte und sich den beiden jungen Männern als wortgewandte, zuverlässige Dame aus gutem Haus präsentiert hatte, die großes Verständnis für junge Leute aufbrachte und sich der Verantwortung, die auf sie zukam, sehr wohl bewusst war. Als er sie in jenem ehrbaren Haus in Marylebone aufgestöbert hatte, war es anders gewesen, wenn auch nicht wesentlich anders. Er fragte sich, was Wickham und sie miteinander verbinden mochte, denn diese Verbindung war immerhin stark genug, als dass sich Mrs. Younge unter Frauen begeben hatte, die den Kampf eines Menschen um sein Leben als unterhaltsam empfanden.
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A ls der Staatsanwalt nun zum Eröffnungsplädoyer ansetzte, bemerkte Darcy, wie sich eine Veränderung bei Mrs. Younge vollzog. Sie saß immer noch sehr aufrecht da, blickte jedoch so intensiv und konzentriert zur Anklagebank hinüber, als könnte sie Wickham wortlos, nur durch den Blickkontakt mit ihm, eine Botschaft übermitteln, die vielleicht darin bestand, Hoffnung zu machen oder zur Geduld zu mahnen. Dieser Blick dauerte nur wenige Sekunden, doch während er anhielt, war für Darcy alle Farbe im Gerichtssaal, das Scharlachrot des Richters, die bunten Kleider der Zuschauer, wie weggewischt. Er sah nur mehr diese beiden Menschen und wie sehr sie ineinander versunken waren.
»Meine Herren Geschworenen, wir haben es hier mit einem für uns alle ganz besonders erschütternden Fall zu tun, dem brutalen Mord durch einen ehemaligen Armeeoffizier an seinem Freund und früheren Kameraden. Obgleich das Geschehen zu großen Teilen rätselhaft bleiben wird, da allein das Opfer Zeugnis davon ablegen könnte, sind die hervorstechendsten Tatsachen doch eindeutig. Sie lassen keinen Raum für Spekulationen und werden Ihnen im Zuge der Beweiserhebung vorgelegt. Der Angeklagte verließ in Begleitung von Captain Denny und Mrs. Wickham am Freitag, den 14. Oktober, gegen neun Uhr den Gasthof Green Man im Dorf Pemberley, Derbyshire, und fuhr auf der Waldstraße Richtung Pemberley House, wo Mrs. Wickham die Nacht sowie eine unbestimmte weitere Zeitspanne verbringen wollte, während ihr Mann und Captain Denny zum King’s Arms in Lambton gebracht werden sollten. Sie werden Aussagen darüber hören, dass es während des Aufenthalts im Gasthof zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und Captain Denny kam; weitere Aussagen beziehen sich auf die Worte, die Captain Denny äußerte, als er ausstieg und in den Wald lief, woraufhin Wickham ihm folgte. Nachdem Schüsse gefallen waren und Wickham nicht zurückkehrte, wurde die völlig verstörte Mrs. Wickham nach Pemberley gefahren, von wo sich sogleich ein Rettungstrupp auf den Weg machte. Zwei Zeugen, die sich an diesen wichtigen Moment lebhaft erinnern können, werden darüber aussagen, wie sie die Leiche fanden. Der Angeklagte kniete blutbesudelt neben dem Opfer und gestand zweimal in eindeutigen Worten, seinen Freund umgebracht zu haben. Vieles an diesem Fall mag unklar und rätselhaft sein, diese Tatsache aber steht im Mittelpunkt: Es gab ein Geständnis, das Geständnis wurde wiederholt, und es wurde, wie ich noch einmal betonen will, deutlich vernommen. Der Rettungstrupp verfolgte keinen weiteren potenziellen Mörder, Mr. Darcy sorgte dafür, dass Wickham unter Bewachung kam, und verständigte unverzüglich den Friedensrichter, und trotz umfassender und gründlichster Suche gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass sich in jener Nacht irgendein Fremder im Wald aufhielt. Von den Bewohnern des Waldcottages – einer älteren Frau, ihrer Tochter und einem Mann, der sich am Rande des Todes befindet –, hätte keiner eine Steinplatte vom Gewicht derjenigen schwingen
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