Der Tod macht den letzten Schnitt
hat doch keine Verwendung
mehr dafür, Liebchen. Es ist auch keins drin. Nur irgendwelche Kleinigkeiten...»
«Bitte.» Mr. Pringle sah darin den
Verlust der Würde des Mitmenschen. Mavis stellte den Plastikbeutel beiseite.
«Du darfst dich nicht aufregen,
Liebling. Möchtest du, daß ich heute nacht hierbleibe?»
Sie nahm den zitternden Mr. Pringle
zärtlich in die Arme und spendete Trost und Wärme, aber sie konnte die
nächtlichen Schrecken nicht vertreiben.
«Es geht nicht darum, daß er starb, es
geht darum, wie er starb... auf offener Straße. Niemand sollte so sterben.»
«Aber es ging schnell, hast du gesagt.»
«Nicht wirklich. Er hat den Wagen
gesehen, ehe er getroffen wurde. Ich habe das Gefühl, als hätte er gewußt, was
passierte.»
«Aber er wollte niemandem die Schuld
geben. Ob er gedacht hat, es wäre seine Schuld gewesen? Weil er nicht aufgepaßt
hatte, wo er ging...»
«Er hat einfach dagestanden, wie
angewurzelt!»
Mavis seufzte. «Es heißt immer,
Kaninchen reagieren so, wenn sie plötzlich ein Frettchen vor sich sehen. Obwohl
sie schneller laufen können, lähmt sie die Angst. Vielleicht war das auch bei
Mr. Bowman so.» Mr. Pringle blieb skeptisch. «Er soll ein netter alter Mann
gewesen sein, vielleicht wollte er niemandem die Schuld an seinem Tod geben,
als er starb», beharrte Mavis. «Es kann doch einfach ein Unfall gewesen sein.»
Mr. Pringle wollte nicht weiter darüber
nachdenken. Er war zu müde. Vielleicht würde er schon bald mehr erfahren, wenn
er den Plastikbeutel zur Polizei brächte, deren riesiger Apparat wahrscheinlich
längst die Identität des Fahrers herausgefunden hatte. Solange er nicht
aufgefordert würde, ihn zu identifizieren... Mr. Pringle fiel in unruhigen
Schlaf.
Olympia Restaurant
Sie waren keine Stammgäste, dazu kamen
sie nicht oft genug, aber die Frau des Besitzers erinnerte sich, daß Frank
Newton einen ruhigen Ecktisch bevorzugte. Sie sah gerührt zu, wie er seine Frau
umsorgte, und spendete zwei Ouzos auf Rechnung des Hauses. Wer weiß? Irgendwann
könnte es ganz nützlich sein, einen Freund bei der Polizei zu haben. Sie hatte
einmal seinen Polizeiausweis auf den Tisch fallen sehen, als Newton nach seiner
Kreditkarte suchte.
Newton wartete, bis sie
davongewatschelt war, ehe er sein Glas erhob. «Auf meine zauberhafte Frau...
möge sie nie vergessen zurückzukommen.»
Jean schnitt eine ihrer berühmten
Fratzen und lachte. «Tut mir leid, das mit gestern abend. Aber ich bin nicht
gut im Umgang mit einem Haufen Achtjähriger.»
Er nahm ihre Hand. «Du bist eine
Heldin. Mir tut leid, daß ich dich im Stich gelassen habe.» Sie wählten ihr
Essen, dann fragte er: «Kennst du das Theaterstück Der Lauf der Welt ?»
Sofort sprühten ihre Augen. «Und ob ich
das kenne! Zauberhafte Gesellschaftskomödie Ende des siebzehnten Jahrhunderts,
Restaurationszeit, von Congreve, sehr geschliffen. Ehemals ein Paradestück für
Edith Evans.»
«Ebenso für Margarite Pelouse, höre
ich.»
«Ja. Es ist mit ihr und Ian Walsh neu
inszeniert worden.»
Newton beobachtete mit einiger
Eifersucht, wie seine Frau sich in ihren Erinnerungen verlor. Deshalb war er
gewiß nicht mit ihr hergegangen. Aber gewissenhaft wie er war, setzte er die
Befragung fort. «Mir bleibt unerfindlich, wie ein junger Mann überzeugend als
Partner einer viel älteren Frau eingesetzt werden kann.»
Aber Jean hatte die Antwort schon
parat. «Im Theater bist du dir dessen gar nicht bewußt. Das hat alles mit der
Illusion des Theaters zu tun. Jeder trägt eine Perücke und viel Make-up, eine
Art gelacktes Äußeres, geweißte Haut, schwarze Schönheitspflästerchen und jede
Menge Rouge. Und phantastische Kostüme. Du kannst dich in jede Person
verkleiden, ganz egal, wie alt du bist. Niemand im Saal würde es bemerken, weil
alles mit zur Verzauberung gehört.»
«Möglich.» Frank Newton klang das etwas
absurd. «Sind viel Triebe mit im Spiel?»
«Mein Gott, Frank!» Es tat weh,
Gegenstand ihres Spotts zu sein. «Wir reden über eine der witzigsten,
geschliffensten Komödien überhaupt.»
«Ich wollte nur wissen, ob das Stück im
Bett endet.»
«Das läuft viel prickelnder und
aufreizender als einfach bumsen!» Jean war ganz aufgeregt, zumal sie reichlich
Wein getrunken hatte. «Millament und Mirabell verschlingen einander in einem
hinreißenden Wortwechsel, praktisch jede Zeile ist eine Anspielung.» Jeans
ausdrucksvolles Gesicht glühte jetzt. Newton sah schon, daß sie dabei
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