Der Tod meiner Schwester
Isabels Beerdigung fand am Tag nach unserer Rückkehr in Westfield statt. Ich ging nicht hin, weil ich an jenem Morgen mit Bauchschmerzen aufwachte, die man im Nachhinein sicher als psychosomatisch bezeichnen konnte. Schon allein wenn ich den Kopf vom Kissen hob, schien sich der Raum zu drehen und mein Magen hochzukommen. Lucy wurde zu einer Nachbarin geschickt, während ich mit meinem wehen Bauch und meinem schlechten Gewissen zu Hause blieb. Ich fragte mich, ob ich Krebs hatte. Ich hatte schreckliche Angst, mit einer so gewaltigen Sünde auf dem Gewissen zu sterben.
Am folgenden Sonnabend wartete ich darauf, dass ich an der Reihe war zu beichten. Ich saß zwischen meiner Mutter und Lucy in der Kirchenbank von Holy Trinity und überlegte mir, was ich dem Priester sagen wollte. Ich ging bei der Beichte immer sehr systematisch vor mit meiner sorgfältig einstudierten Liste von Sünden. Diese Sünde aber passte nicht so richtig in die üblichen Kategorien. Obwohl ich seit Isabels Tod schon mehrmals daran gedacht hatte, zu beichten, hatte ich noch immer keine Ahnung, wie ich es anfangen sollte, als ich das winzige dunkle Abteil betrat.
Es spielte keine Rolle. Kaum hatte der Priester den Vorhang hinter dem kleinen Fenster aufgezogen, fing ich an zu weinen. In dem Beichtvater erkannte ich Pater Fagan, einen der ältesten Priester in unserer Gemeinde. Er hatte weiße Haare, und ebenso wie mein Vater hinkte er. Seine großen Hände hatten im Laufe der Jahre schon mehr als einmal sanft auf meinem Kopf geruht. Mir entfuhren laute, hicksende Schluchzer, die man vermutlich in der ganzen Kirche hören konnte. Ich dachte, dass vielleicht meine Mutter die Tür zum Beichtstuhl öffnen würde, um nach mir zu sehen. Vielleicht würde sie mich so in die Arme nehmen, wie sie es seit Isabels Tod nicht mehr getan hatte, doch das geschah nicht.
Pater Fagan nutzte eine Pause zwischen meinen Schluchzern, um mein Weinen zu unterbrechen. “Sag mir, was dich bedrückt, mein Kind.”
“Ich …” Ich schluckte neu aufsteigende Tränen hinunter. “Ich habe etwas getan, das meine Schwester umgebracht hat.”
“Oh”, erwiderte er nur. Seine Stimme klang ruhig und kein bisschen aufgebracht oder schockiert, sodass ich mich fragte, ob er von Isabels Tod und meiner Rolle dabei wusste. Später erfuhr ich, dass er der Priester bei ihrer Beerdigung gewesen war. “Ich glaube, es wäre gut, wenn wir uns morgen nach dem Gottesdienst in der Pfarrei treffen”, meinte er. “Könntest du das einrichten?”
Ich war überrascht. Ich konnte mir nicht vorstellen, meine Sünden im persönlichen Gespräch mit einem Priester zu beichten, doch ich wusste, dass ich die Einladung nicht abschlagen konnte.
“Ja, Pater”, erwiderte ich.
“Gut. Komm um ein Uhr, und dann reden wir.”
Ich wollte schon aufstehen, ging aber wieder auf die Knie. “Was, wenn ich bis dahin sterbe?”, fragte ich. “Ich habe eine Todsünde begangen.”
“Diese Sünde ist dir verziehen, Kind.”
“Aber … Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, was es ist. Es ist … Ich glaube, es ist unverzeihlich.”
“Nichts ist unverzeihlich, Julie”, sagte er und verblüffte mich, indem er mich bei meinem Namen nannte. “Geh jetzt zum Altar und bete drei ‘Gegrüßet seist du Maria’ und zeige aufrichtige Reue. Und dann sehen wir uns morgen.”
“Okay”, sagte ich und erhob mich wieder. Doch ich fühlte mich nicht so, als ob er mir verziehen hätte. Ich hatte den Eindruck, dass er einfach nicht richtig verstand was ich Schreckliches getan hatte.
Am nächsten Tag nahm mich mein Vater mit zur Pfarrei und wartete in der Stube, während ich mit Pater Fagan sprach. Wir saßen in einem kleinen Zimmer mit schicken Stühlen und einem Leuchter, der von der Decke hing. Ich erzählte ihm alles, was ich getan hatte, und er hörte zu, wobei er ab und an mit dem Kopf nickte.
“Deine Sünde war der Neid.” Er saß in einem großen Sessel, der mich an den Thron eines Königs erinnerte. Er legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, als ob er jeden Augenblick anfangen könnte zu beten. “Und die Begierde nach dem Freund deiner Schwester”, fuhr er fort. “Und dass du sowohl deine Eltern als auch eine Reihe anderer Menschen belogen hast. Und außerdem Ungehorsam.”
Ich nickte, während er all die Dinge aufzählte, die ich falsch gemacht hatte.
“Aber”, sagte er. “Mord zählt nicht zu deinen Sünden.”
“Es wäre nicht passiert, wenn ich nicht –”
“Du wolltest
Weitere Kostenlose Bücher