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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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mich doch, oder?”
    “Okay”, willigte Lucy mit unsicherer Stimme ein.
    Ich hörte, wie sie es sich im Bett bequem machte, und sah sie vor meinem geistigen Auge, wie sie mit weit geöffneten Augen auf der Seite lag und meinen Schatten beobachtete, während ich mich in Nancy Drew versenkte.
    Ich las ein Kapitel und den Anfang eines weiteren. Dann zog ich eine Ecke des Vorhangs neben meinem Kopf zurück. Lucy hatte die Augen geschlossen und nuckelte am Daumen wie eine Dreijährige. Ihren schäbigen alten Teddybären hielt sie fest im Arm. Lautlos schlüpfte ich aus dem Bett. Ich zog die Decke vom anderen Bett, stopfte sie unter meine und platzierte das aufgeschlagene Buch hochkant neben dem Kissen. Dann ging ich zur Mitte des Dachbodens, um zu sehen, wie die Schatten aus Lucys Perspektive aussahen, falls sie aufwachen sollte. Ziemlich überzeugend.
    Es war unmöglich, die Treppe ohne Knarren hinabzusteigen, doch ich gab mein Bestes.
    Meine Mutter lächelte mich an, als ich auf die Veranda kam. Sie hatte irgendwie innerlich Frieden damit geschlossen, dass Izzy auf einer Party war, und ihr Lächeln erleichterte mich.
    “Schläft sie?” Sie saß meiner Großmutter an dem großen Tisch gegenüber, rauchte eine Zigarette und legte eine Doppel-Patience auf der geblümten Plastiktischdecke aus. Beide Frauen trugen Hauskleider aus Baumwolle, meine Mutter eines mit blassgelben Streifen und meine Großmutter mit hellblauen.
    Ich nickte und ließ mich in einen der Schaukelstühle fallen. Wie der Tisch waren auch alle Stühle auf der langen Veranda rot angestrichen. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit war die Farbe immer ein wenig klebrig und so dick, dass man mit dem Fingernagel eine Kerbe hinterlassen konnte. Außerdem stand am anderen Ende der Veranda ein Bett für diejenigen, die beim Einschlafen das Plätschern des Wassers und das Zirpen der Grillen hören wollten.
    “Wenn wir hier fertig sind, kannst du uns beim Canasta Gesellschaft leisten”, sagte Grandma und nahm einen Schluck von ihrem löslichen Kaffee. Als sie ihre Beine unter dem Tisch übereinanderschlug, sah ich, dass sie ihre Strümpfe bis unter die Knie hinuntergerollt hatte. Sie sprach perfekt Englisch, doch ihr italienischer Akzent war auch sechzig Jahre nach ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten noch immer ausgeprägt. Ich liebte die Melodie in ihrer Stimme. Erst mit zehn wurde mir klar, dass nicht jeder eine Grandma hatte, die so singend sprach und bei der jedes Wort mit einem Vokal zu enden schien.
    Ich schaukelte eine Weile hin und her, der Zementboden unter meinen Füßen fühlte sich glatt und kühl an. Ich sah das Licht eines Boots, das den Kanal in Richtung Bay entlangschipperte. Das sanfte, stetige Summen seines Motors bildete den Hintergrund zum Klatschen der Karten auf dem Tisch. Ich konnte es kaum erwarten, bis Grandpop morgen unser eigenes Boot zu Wasser ließ. In den letzten zwei Sommern hatte ich es schon allein gesteuert, wenn auch immer mit einem Erwachsenen oder mit Isabel an Bord. Daddy hatte mir versprochen, dass ich diesen Sommer mit dem Boot allein hinausdürfe, wenn ich eine Schwimmweste trug und an unserem Ende des Kanals blieb, also zwischen unserem Haus und der Stelle, wo er in die Bay mündete. Das war zwar keine große Strecke, doch ich war trotzdem aufgeregt in Erwartung von so viel Freiheit.
    Irgendjemand war im Garten der Chapmans. Es war zu dunkel, um zu erkennen, wer, doch die Person angelte. Ich konnte die brennenden Enden von zwei Räucherspiralen gegen Moskitos ausmachen, und im schwachen Mondlicht leuchtete das weiße Hemd des Anglers. Ich vermutete, dass es Ethan war, der dort saß und versuchte etwas zu fangen, das er aufschneiden konnte. Ich beobachtete, wie sich das Hemd bewegte, als er die Angel nach hinten schwang und dann mit dem unverkennbaren Sirren der Rute durch die Luft zog. Unwillkürlich bewegte ich meine Finger, als ob ich selbst eine Angel halten würde.
    “Bist du bereit, es gegen uns beim Canasta aufzunehmen?”, fragte mich meine Großmutter.
    Ich ging hinüber zum Tisch und setzte mich, während sie austeilte. Meine Mutter drückte ihre Zigarette in dem Muschelaschenbecher aus und zog gerade eine weitere aus der Packung, als ein furchtbarer Schrei die Stille zerschnitt. Bevor ich überhaupt kapierte, dass er vom Dachboden kam, war sie schon aufgesprungen. Weitere Schreie folgten – Lucy nahm sich kaum die Zeit zum Atmen. Ich folgte meiner Mutter nach oben.
    “Baby!” Meine Mutter machte das

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