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Der Tod meiner Schwester

Der Tod meiner Schwester

Titel: Der Tod meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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ihr langes dunkles Haar völlig zerzaust war, sah sie wunderschön aus in dem rosigen Morgenlicht.
    Ich schlich vorsichtig zu ihrem Bett. Sie nahm meinen Arm und zog mich hinter den Vorhang.
    “Du musst mir einen Gefallen tun”, sagte sie. Sie hatte die Decke bis unter die bloßen Schultern hochgezogen. Ich war schockiert, als ich begriff, dass sie nackt geschlafen hatte. Ich kannte niemanden, der das tat.
    Ich setzte mich auf ihr Bett. Aus der Nähe erkannte ich, dass ihre Augen rot waren. “Was haben Mom und Dad gesagt?”, fragte ich. “Du hättest nicht zu Daddy gehen sollen, nachdem –”
    “Schschsch!”, machte sie. “Das geht dich gar nichts an.” Sie fummelte zwischen den Decken auf ihrem Bett herum und brachte eine kleine Plastikgiraffe zum Vorschein, etwa so groß wie ihre Faust. “Gib dies hier Ned Chapman, ja?”, bat sie, auch wenn ich wusste, dass es mehr ein Befehl als eine Bitte war.
    Ich blickte hinunter auf die rot-lila gefleckte Giraffe, die sie mir in die Hand gedrückt hatte. “Warum?”, fragte ich. Wenn sie meine Kooperation wollte, konnte sie mich nicht damit abspeisen, dass es mich nichts anginge.
    “Sie gehört ihm”, erklärte sie. “Ich habe gestern Abend vergessen, sie ihm zu geben.”
    “Wozu sollte ein achtzehnjähriger Junge sie haben wollen?”, fragte ich. Die Giraffe sah aus, als ob sich selbst ein Kleinkind schon nach ein, zwei Minuten damit langweilen würde.
    “Stell nicht so viele Fragen”, schimpfte Isabel. “Tu es einfach. Bitte. Ich habe den ganzen Tag Hausarrest.”
    “Das ist alles?” Ich fand, dass Mom recht hatte – sie sollte eine Woche lang Hausarrest haben.
    “Das reicht schließlich.” Isabel ließ sich wieder in ihr Kissen fallen. “Ich schlafe jetzt weiter.”
    “Bitte schön”, schnappte ich voller Ärger über ihre Undankbarkeit.
    Als ich nach unten ging, war noch niemand auf. Ich ging hinaus, wo ich die warme, feuchte Morgenluft in meine Lungen sog. Ich deponierte die Giraffe unter einem der Deckchairs, damit sie nicht verloren ging, bis ich Ned sah. Ich griff nach meinem Eimer und dem Krabbennetz, das ich an den Baum gelehnt hatte, und begann meine Krabbenrunde. Vom Rande unseres Docks aus lugte ich ins Wasser und hielt Ausschau nach Krabben, die unter der Wasseroberfläche an den Balken klebten. Ich fand drei in unserem Dock und balancierte dann außerhalb des Zauns auf den hölzernen Planken der Kanalbefestigung, um nach weiteren Krabben Ausschau zu halten. Die Strömung in Richtung Fluss war stark. Ich sah einen Pappbecher an mir vorübertreiben, gefolgt von einer Krabbe. Ich hielt mein Netz ins Wasser, zog sie heraus und warf sie in den Eimer. Es war fast zu leicht. Ein riesiges Büschel Seetang zog an mir vorüber und dann ein kleiner Ball, den ich mit meinem Netz herausfischte und untersuchte. Er war nichts Besonderes, nur ein eingedellter Pingpong-Ball, doch ich würde ihn unter mein Bett legen, um damit meine Beweissammlung von Bay Head Shores zu starten.
    Ich sah über den Kanal hinweg zu der Bretterbude mit dem Hahn, und mein Blick fiel auf das hohe Schilf direkt gegenüber von unserem Haus. Die Angler trafen ein. Sie gingen einen schmalen Pfad entlang, den sie durch das Schilf geschlagen hatten, und luden ihr Gerät und ihre Klappstühle hinter dem Zaun ab. Es waren alles Farbige, und es schien auch Frauen unter ihnen zu geben. Aus der Entfernung war es schwer, die Frauen von den Männern zu unterscheiden, doch ich war sicher, dass auch ein paar Kinder dabei waren.
    “Auf Krabbenjagd, was?”
    Die Stimme kam von hinten und überraschte mich so, dass ich mich am Zaun festhalten musste, um nicht die Balance zu verlieren. Ich wandte mich um und sah Ned Chapman breit grinsend auf mich zukommen. In diesem Moment geschah etwas mit mir. Ich weiß nicht, ob es an seinen blauen Augen lag, die in der Sonne leuchteten, oder an dem Dreieck gebräunter Brust, das sein halb geöffnetes Hemd zeigte, oder an der Art, wie er seine Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, doch ich dachte, ich würde ohnmächtig werden und in den Kanal fallen. Im Frühling hatte ich zum ersten Mal meine Periode bekommen, seitdem wurde mir immer ganz flau im Magen, wenn ich einen süßen Jungen sah. Und Ned war eindeutig
süß
. Sein dichtes Haar hatte die Farbe von Sonnenschein. Er ähnelte Troy Donahue, dem Teeniestar.
    “Hallo, Ned”, brachte ich heraus, und erst als ich seinen Namen laut ausgesprochen hatte, bemerkte ich, dass er genauso hieß wie

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