Der Tod soll auf euch kommen
mit. »Weshalb bist du losgezogen und hast der dunklen Herrin des Wasserfalls einen Hasen geopfert? Ich werde es dir sagen. Ganze zehn Jahre sind seit deiner Heirat mit Muirgen vergangen. Erst vor kurzem hat sie ein Kind zur Welt gebracht, aber es war eine Totgeburt. Die Hebamme hat euch erklärt, daß ihrnie wieder ein Kind haben könnt. Doch dein Weib hat immer noch die Milch, die für euer Kind bestimmt war. Muirgen wünscht sich nichts sehnlicher, als schwanger zu sein. Und da du ihr Hoffen und ihre Verzweiflung miterlebst, bist du selbst ganz verzweifelt.«
Nessán blieb wie angewurzelt stehen und lauschte mit wachsender Furcht den Worten.
»Erst letzte Woche bist du mit Muirgen in die kleine Kapelle an der Furt des Imigh gegangen, um dort zu beten. Du hast den Geistlichen gebeten, bei Christus und der Heiligen Mutter Maria Fürsprache für euch einzulegen. Aber du hast gewußt, daß eure Gebete und euer Flehen nicht erhört werden würden. Deshalb hast du dich wieder auf die alten Bräuche, auf den alten Glauben besonnen. Du bist losgezogen, um Dub Essa zu bitten, Muirgen durch ein Wunder zur Mutter zu machen.«
Nessán ließ den Kopf auf die Brust sinken, seine Schultern sackten zusammen. Er kam sich wie ein kleiner Junge vor, dessen Vergehen entdeckt worden war und der nun die unvermeidliche Strafe erwartete.
»Woher … weißt du das alles nur?« Er versuchte, selbstsicherer zu klingen.
»Ich habe schon gesagt, daß dich das nichts angeht. Ich bin Herr dieser dunklen Täler und der Gipfel darüber. Ich erkläre dir hiermit, daß du das nicht begreifen mußt. Kehr heim, und du wirst sehen, deine Gebete wurden erhört. Muirgens Wunsch ist in Erfüllung gegangen.«
Nessán hob sofort den Kopf.
»Du meinst …«
»Kehr heim. Kehr nach Gabhlán heim. Auf deiner Türschwelle wird ein Knabe liegen. Frage nicht, woher er kommtund weshalb er zu dir kam. Verrate niemandem, auf welche Weise er zu dir gelangt ist. Von nun an wird es euer Kind sein, und du wirst den Knaben Díoltas nennen. Du wirst ihn großziehen, damit er später Schäfer in diesen Bergen wird.«
Nessán runzelte erstaunt die Stirn.
»Díoltas? Warum sollte ein unschuldiger Knabe denn ›Rache‹ genannt werden?«
»Frage nicht, woher er kommt und weshalb er zu dir gelangt ist«, wiederholte der Aussätzige mit Nachdruck. »Man wird dich beobachten. Verstößt du gegen diese Regeln, wirst du bestraft werden. Hast du das verstanden?«
Nessán dachte einen Augenblick nach, dann neigte er zustimmend den Kopf. Warum sollte er mit den alten Göttern hadern, die seine Gebete erhört und diesen gespenstischen Kranken als Boten gesandt hatten?
»Ich habe verstanden«, erklärte er leise.
»So geh, aber verrate niemandem etwas von unserem Treffen. Vergiß, daß ich es war, der deine Gebete erhört hat. Vergiß, daß ich es war, der dir dieses Geschenk machte, erinnere dich einzig und allein daran, daß du in meiner Schuld stehst. Eines Tages werde ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten. Bis dahin – geh nun! Geh rasch!«
Nessán zögerte noch einen Augenblick, doch da hob der furchteinflößende Mann einen Arm. Er sah das tote weiße Fleisch seiner Hand und den knöchernen Finger, der in dem trüben Dunst auf den Weg vor ihm zeigte. Ohne ein weiteres Wort von der sitzenden Gestalt entfernte sich der Schäfer. Nach drei, vier Schritten blickte er unvermittelt zurück. Ein leichter Wind war aufgekommen, bald würde der Nebel abziehen.
Nun konnte er sogar schon den Baum erkennen, doch niemand saß mehr darunter. Mit offenem Mund schaute sich Nessán weiter um. Offenbar befand er sich allein an dem Ort. Er spürte, wie eisige Kälte seinen Nacken hochkroch. Er drehte sich rasch um und eilte nach Hause.
KAPITEL 2
»Bruder Eadulf, der König erwartet dich.«
Capa, der Krieger, der die Leibgarde des Königs von Muman befehligte, begrüßte den sächsischen Mönch, als dieser den Vorraum zu den königlichen Gemächern in der alten Burg von Cashel betrat. Er war ein großer und schöner Mann mit hellem Haar und blauen Augen und trug seinen goldenen Amtsschmuck mit zurückhaltendem Stolz. Als Eadulf betrübt durch den Empfangsraum schritt, warf er ihm kein Lächeln zu. Auch die Würdenträger, die einzeln oder in Zweiergruppen darauf warteten, zum König gerufen zu werden, taten nichts dergleichen. Sie kannten Bruder Eadulf, doch nun blickten sie bedrückt nach unten und vermieden die Begrüßung. In seiner Geistesabwesenheit bemerkte Eadulf sie
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