Der Tod soll auf euch kommen
viel zu mitgenommen von dem Ganzen. Ich habe bemerkt, wie verstört sie in den letzten beiden Tagen herumgelaufen ist. Hierhin und dorthin ist sie geeilt und hat Aussagen überprüft, ohne je richtig über die Dinge nachzudenken. Ihr Herz ist von Sorge um ihr Kind erfüllt.«
Bruder Eadulf fühlte sich ein wenig schuldig. Zwei Tage lang hatte er alles versucht, um Fidelma zur Ruhe zu bringen. Colgú hatte recht, ihr Zustand grenzte fast an Raserei. Dennoch wandte er ein: »Fidelma ist eine ausgebildete und qualifizierte
dálaigh,
Colgú. Du weißt, welch hohes Ansehen sie genießt. Wenn Fidelma diesen Fall nicht lösen kann, wer dann?«
Der König gab Eadulf mit einer hilflosen Geste zu verstehen, daß er eigentlich recht hatte.
»Ja, ja. Meine Schwester wird inzwischen in allen fünf Königreichen von Éireann für ihre besonderen Fähigkeiten bei der Lösung von mysteriösen Kriminalfällen, die keinanderer sonst enträtseln könnte, hochgeschätzt. Und auch dein Name, Eadulf, ist unmittelbar damit verbunden. Doch wir reden hier von ihrem Kind.«
»Und meinem«, warf Eadulf nachdrücklich ein.
»Natürlich. Aber eine Mutter – jede Mutter – hat Gefühle, die manchmal jegliche Vernunft ausschalten können, wenn es um das eigene Kind geht. Als ich den Suchtrupp losschickte, mußte ich mich ganz auf deine Beschreibung der fehlenden Kindersachen verlassen, sonst hätten wir nicht gewußt, wie Sárait den Jungen an jenem Abend angezogen hatte. Fidelma brachte es nicht über sich, seine Kleidung durchzusehen.«
Stillschweigend stimmte Eadulf ihm zu. Er hatte die kleine Truhe durchforstet, in der Alchús Babykleider aufbewahrt wurden.
»Nun, Eadulf«, fuhr Colgú fort, »du bist der Vater. Das ist richtig. Ein Mann reagiert immer besonnener als eine Frau, und du im besonderen, Eadulf. Seit ich dich kenne, wirkst du wie ein Fels in der Brandung, gerade in stürmischen Zeiten. Ausgeglichen und beherrscht.«
Eadulf seufzte tief auf. Er fand nicht, daß er zur Zeit ausgeglichen und beherrscht war, aber er stimmte mit dem jungen König überein, daß Fidelma in den beiden letzten Tagen ihre ganze Professionalität als Ermittlerin von Verbrechen eingebüßt hatte. Da er sich aber mit Fidelma seelisch sehr verbunden fühlte, wäre es ihm wie ein Betrug an ihr vorgekommen, wenn er Colgú beigepflichtet hätte.
»Was schlägst du vor?« fragte er leise.
»Daß der Kronrat zusammentritt und wir gemeinsam – meine Ratgeber, du und ich – alles zusammentragen, was wir über den Tathergang wissen. Zuerst die Fakten. Dann redenwir über die Möglichkeiten, die zur Ergreifung des Täters führen können. Die anderen warten schon draußen. Ist das in deinem Sinne, Eadulf?«
Bruder Eadulf dachte einen Moment nach und zuckte dann mit den Schultern.
»Ohne Plan können wir nicht weitermachen«, sagte er. »Wir müssen auf jeden Fall etwas unternehmen. Ich bin mit deinem Vorhaben einverstanden.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drehte sich Colgú um und griff nach einer kleinen Silberglocke. Kaum hatte er damit geläutet, öffnete sich die Tür und mehrere Männer traten ein. Eadulf stand auf. Obwohl er der Gatte von Colgús Schwester war, galt er im Königreich von Muman als Fremder; ein vornehmer Fremder zwar, aber dennoch ein Ausländer, ein Besucher aus dem Land des Südvolks, aus den Königreichen der Angeln und Sachsen.
Die Männer traten der Rangfolge nach ein. Zuerst der hübsche junge Prinz Finguine, Colgús Cousin, der Tanist und Nachfolger des Königs war. Dann kam der bejahrte Brehon Dathal, der oberste Rechtsberater und Richter bei Hofe. Mit ihm erschien Cerball der Barde, der ein Kenner aller Stammbäume und der Geschichte des Königreiches war. Er trug einen Lederbeutel. Als nächster folgte Ségdae, der Bischof von Imleach,
comarb
oder Nachfolger des heiligen Ailbe, der als erster das Christentum nach Muman gebracht hatte. Danach trat Capa ein, Befehlshaber der ausgewählten königlichen Leibgarde, deren Angehörige alle als Zeichen der Ehre einen goldenen Halsring trugen. Capa war zudem Schwager von Alchús Amme, die man ermordet hatte. Die engsten Regierungsberater von König Colgú im größten der fünf Königreiche von Éireann waren nunmehr versammelt.
König Colgú schritt zu einem runden Eichentisch am anderen Ende des Raumes und nahm Platz.
»Setzt euch. Wir werden ohne große Vorreden sofort zur Sache kommen und in dieser Runde alle wie Gleichberechtigte sprechen. Eadulf – du sollst neben
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