Der Tod trägt dein Gesicht
Anspannung von Caseys Schultern, und ihr Nacken entspannte sich. Ihre Mutter schien auch ohne Worte immer zu verstehen, was in ihr vorging. Sie wusste immer genau, was sie sagen musste, damit Casey sich besser fühlte.
“Ich hoffe, du hast recht, Mom. Gott, ich hoffe wirklich, dass du recht hast.”
Die beiden Frauen drückten sich noch ein zweites Mal. Casey ließ sich völlig in die vertrauten Arme fallen.
Ich bin eine der wenigen, die Glück haben, dachte sie bei sich. Welcher Schmerz oder welches Schicksal ihr auch immer zuteilwurde, sie hatte die Gewissheit, dass ihre Familie für sie da war. Hier fühlte sich Casey wirklich sicher.
Becky Sue Belcamp würde dieses Gefühl nie wieder spüren können. Genauso wenig wie die beiden anderen armen Frauen.
Casey schloss die Augen und holte tief Luft. Von ihrer Mutter ging ein Duft aus, der ihr Kraft und Trost gab – es war eine wunderbare Mischung aus Waschpulver, Gesichtspuder, frisch gebackenem Brot und Fliederparfum. Sie kannte diesen Geruch gut, und er gab ihr das Gefühl, wirklich zu Hause zu sein.
“Komm rein”, sagte ihre Mutter und löste sich von ihr, um sie am Arm zu nehmen und ins Innere des Hauses zu führen. “Mary Kate hat genug davon, den ganzen Tag die Füße hochzulegen und freut sich schon darauf, ein wenig mit dir zu plaudern. Und natürlich wollen die Männer auch mit dir reden. Sie werden dich erst in Ruhe lassen, sobald du ihnen jedes unappetitliche Detail erzählt hast.”
Wie ihre Mutter schon vorausgesagt hatte, wurde sie mit Fragen bestürmt, kaum dass Casey ins Wohnzimmer gekommen war.
“Hey, Stretch!”
“Wurde ja auch Zeit, dass du kommst.”
“Wie geht’s dir?”
“Komm her, Schätzchen, und rede dir alles von der Seele”, forderte sie ihr Vater auf. Patrick Collins saß in seinem Lehnstuhl.
“Oh nein, so läuft das nicht”, rief Mary Kate dazwischen, “Onkel Patrick, ich habe schon den ganzen Tag darauf gewartet, dass ich mit Casey reden kann. Ihr alle könnt sie während des Essens mit euren Fragen löchern, während ich hier allein vor dem Fernseher mit meinem Essen auf dem Tablett liegen muss. Erst mal gehört sie mir!” Sie nahm Caseys Hand. “Gott sei Dank bist du endlich hier! Du hast mich seit Sonntag nicht mehr besucht.”
Caseys Cousine lag auf einem der beiden Sofas in der Ecke. Mit ihrem riesigen Bauch sah sie aus wie ein gestrandeter Wal. Man hätte meinen können, sie würde explodieren, wenn man mit einer Nadel in ihren Bauch pikste. Immerhin musste er Raum für Zwillinge bieten.
“Entschuldige, ich hatte so viel zu tun”, Casey beugte sich zu dem Sofa herunter und umarmte Mary Kate. “Und außerdem – wo ist das Problem? Wir reden doch jeden Tag miteinander. Wir haben erst gestern Abend fast eine Stunde lang miteinander telefoniert.”
“Das ist nicht dasselbe”, gab ihre Cousine kleinlaut bei und schmollte. “Ich werde langsam verrückt, aber ich darf ja nicht aufstehen.”
Der zweijährige Roger rannte derweil mit ausgestreckten Armen durchs Wohnzimmer und machte Geräusche wie ein Flugzeug.
Casey schnappte sich ihn, als er das zweite Mal an ihr vorbeirannte, hob ihn hoch und gab ihm einen lauten Kuss. Der Kleine wand sich und quietschte, erst aus Protest, dann vor Freude. Als Casey ihn in die Luft warf, um ihn danach wieder aufzufangen, kicherte er vor Vergnügen. “Na komm schon, kleiner Mann”, sagte sie und stellte ihn wieder auf den Boden.
“Brumm, brumm!” Schon lief er wieder davon.
“Wie geht es dir?” Casey ließ sich auf dem Sitzkissen neben Mary Kate nieder. Auch wenn sie gerade aussah wie ein Wasserballon, war ihre Cousine ein echter Hingucker. Sie hatte schwarzes Haar, helle Haut und riesige blaue Augen, so wie alle in ihrer Familie. Wenn sie nicht schwanger war, hatte sie eine kurvigere Figur als Casey, aber sie waren etwa gleich groß und schwer.
Seitdem Mary Kate zwölf Jahre alt war, hatte sie bei Caseys Eltern gewohnt. Ihre Eltern, Maureens Schwester und ihr Mann, waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Casey und Mary Kate standen sich wahrscheinlich ebenso nahe wie richtige Schwestern: Sie hatten sich als Kinder nicht nur ein Zimmer und ihre Kleidung geteilt, sondern auch ihre geheimsten Gedanken und Gefühle.
“Körperlich geht es mir und den Babys gut”, antwortete Mary Kate und streichelte ihren Bauch. “Aber ich darf nur aufstehen, um auf die Toilette zu gehen.”
“Und das bedeutet ungefähr alle fünfzehn Minuten”, ergänzte ihr
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