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Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007

Titel: Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Wright
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anzutreffen: in den Klubs und Hotels, den Bars und Kinos, den europäischen Restaurants und Kaufhäusern dieser mondänen und dekadenten Stadt. Unter dem Murren und Fluchen seiner Untertanen ließ sich Faruk I. in einem seiner 200 roten Automobile durch Kairo chauffieren (nur seine Autos durften in Ägypten rot lackiert sein), verführte - sofern man es so bezeichnen kann - junge Mädchen oder segelte mit einer seiner Jachten zu den Spielerparadiesen an der französischen Riviera, wo seine Ausschweifungen historische Ausmaße annahmen. 69 Unterdessen gerieten Armut, Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Krankheiten zunehmend außer Kontrolle. Die wechselnden Regierungen drehten sich hilflos im Kreis, während die Börse einbrach und das Kapital aus dem taumelnden Land flüchtete.
    In diesem krisengeschüttelten politischen Umfeld gab es nur noch eine einzige Organisation, die sich ernsthaft der Bedürfnisse der Menschen annahm. Die Muslimbrüder richteten Krankenhäuser ein, bauten Schulen und Fabriken und gründeten Wohlfahrtsverbände; sie stellten sogar eine eigene Armee auf und kämpften an der Seite der übrigen arabischen Truppen in Palästina. Sie fungierten weniger als Gegenregierung, mehr als eine Gegengesellschaft, was auch ihr eigentliches Ziel darstellte. Ihr Gründer Hassan al-Banna hatte seine Organisation nicht nur als eine politische Partei verstanden wissen wollen; sie sollte die herkömmliche Art von Politik grundsätzlich in Frage stellen. Banna lehnte das westliche Modell einer weltlichen, demokratischen Regierungsform strikt ab, weil es seiner Vorstellung von einer universellen Herrschaft des Islams widersprach. „Es liegt in der Natur des Islams, zu herrschen, nicht beherrscht zu werden, seine Gesetze allen Nationen aufzuzwingen und seine Macht über den gesamten Planeten auszuweiten“, schrieb er. 70
    Dass die Muslimbruderschaft die einzige organisierte und schlagkräftige Widerstandsbewegung gegen die britische Besatzung darstellte, verschaffte ihr Legitimität und Ansehen bei der unteren Mittelschicht Ägyptens, die den Kern ihrer Mitgliedschaft bildete. 71 Die Regierung erklärte 1948 die Muslimbruderschaft offiziell für aufgelöst, was zur Ermordung des verhassten Polizeichefs Salim Saki bei Ausschreitungen an der Medizinischen Fakultät der Universität Kairo führte; doch zu diesem Zeitpunkt zählte die Bruderschaft bereits mehr als eine Million Mitglieder und Unterstützer 72 - bei einer Gesamtbevölkerung Ägyptens von 18 Millionen. Die Muslimbruderschaft war zwar eine Massenbewegung, aber sie war in „Familien“organisiert, in kleinen Zellen, die oft nicht mehr als fünf Mitglieder umfassten, was ihr den Charakter einer Untergrundorganisation verlieh, deren Strukturen nur schwer aufzudecken waren und die praktisch unzerstörbar war. 73
    Die Muslimbruderschaft besaß auch gewalttätige Züge, die später zu einem elementaren Bestandteil der islamistischen Bewegung werden sollten. Mit Bannas Einwilligung wurde innerhalb der Organisation ein „Geheimapparat“geschaffen. Die Aktionen der Bruderschaft richteten sich zwar meistens gegen die Briten und die immer stärker schwindende jüdische Bevölkerung Ägyptens, aber sie steckte auch hinter den Bombenanschlägen auf zwei Kinos in Kairo, die Ermordung eines prominenten Richters sowie zahlreiche versuchte und gelungene Attentate auf Regierungsmitglieder. Zu jener Zeit, als die Regierung Banna umbringen ließ, bildete der Geheimapparat bereits eine mächtige und nicht mehr kontrollierbare Gruppe innerhalb der Bruderschaft.
    Bei einer Vergeltungsaktion für Anschläge auf ihre Stützpunkte griffen die Briten im Januar 1952 eine Polizeistation in der Stadt Ismailia in der Kanalzone an, nahmen sie zwölf Stunden lang unter Beschuss und töteten dabei 50 angehende Polizisten. 74
    Sofort nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte, strömten aufgebrachte Menschen auf die Straßen Kairos. Sie steckten den Turf Klub, einen beliebten Treffpunkt der Briten, und das berühmte Shepheard’s Hotel in Brand. Die Brandstifter, die von Mitgliedern des Geheimapparats der Muslimbruderschaft angeführt wurden, schlitzten die Wasserschläuche der Feuerwehrfahrzeuge auf, die das Feuer löschen wollten, und zogen dann weiter ins europäische Viertel und brannten im Stadtzentrum Kinos, Bars, Casinos und Restaurants nieder. 75 Am Morgen hing eine dichte schwarze Rauchwolke über den Ruinen. Bei den Ausschreitungen wurden mindestens 30 Menschen getötet und

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