Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
länger als bis fünf oder sechs Uhr morgens blieb“, sagt Mary Lynn. „Ich machte ihm nie das Frühstück.“Gleichzeitig hielt er seine Beziehung zu Valerie in Chicago aufrecht. Alle drei Frauen waren der Meinung, dass er sie heiraten wolle. Er war auch verrückt nach einer schönen, energiegeladenen Frau im Justizministerium, die jedoch verheiratet war, worunter er furchtbar litt.
Es gab eigenartige Parallelen zwischen den wechselnden Dramen in O’Neills Privatleben und den Beziehungen Osama Bin Ladens zum anderen Geschlecht. Hätte O’Neill in einer Kultur gelebt, in der die Mehrehe zulässig war, so hätte er möglicherweise auch einen Harem gehabt. Aber er war von Natur aus heimlichtuerisch, er konnte nicht leben ohne gefährliche Geheimnisse und erfindungsreiche Lügengespinste. Sein Job lieferte natürlich den perfekten Deckmantel, denn er konnte jederzeit eine „geheime Mission“vorschieben, um tagelang zu verschwinden.
Ein Teil seiner Persönlichkeit suchte Trost in einer festen Beziehung, der er anscheinend mit Valerie James am nächsten kam. Val folgte ihm, als er 1997 nach New York ging. Sie mieteten gemeinsam eine Wohnung in Stuyvesant Town. Er mochte ihre beiden erwachsenen Kinder derart gern, dass Freunde sie für seine Sprösslinge hielten, und als Vals erstes Enkelkind zur Welt kam und einen Babysitter brauchte, blieb O’Neill mit dem Baby zu Hause, damit Val arbeiten gehen konnte. Sie entwickelten eine gemeinsame Routine. Am Dienstagmorgen brachten sie ihre Wäsche in den Waschsalon und joggten, während die Maschinen liefen. Jeden Samstagmorgen ließ sich O’Neill die Haare schneiden und genoss eine Nassrasur durch den Barbier. An den Sonntagen gingen Val und er mal in diese, mal in jene Kirche, und manchmal unternahmen sie Radtouren durch die Stadt. Wenn O’Neill spät abends erschlagen nach Hause kam, nachdem er Polizisten aus Venezuela oder Usbekistan unterhalten hatte, kletterte er mit einem Glas Milch und einem Teller voller Schokoladekekse ins Bett. Er liebte es, zu Halloween Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen.
Aber an seinem Wesen war etwas Rastloses, das vor geregelten Abläufen zurückzuschrecken schien. Als Anna DiBattista 1999 ein Job in New York angeboten wurde, drohten ungeheure Komplikationen in seinem Leben. Doch O’Neill flehte sie an, die Stelle anzunehmen. „Dann können wir heiraten!“, rief er aus. Aber als sie in New York eintraf, sagte er ihr, dass sie nicht sofort in seine Wohnung einziehen könne, da sich gegenwärtig mehrere „Sprachforscher“dort aufhielten.
Mit jeder Frau führte er ein anderes Leben. Es gelang ihm, sich in mehreren getrennten Bekanntenkreisen zu bewegen. Es gab Leute, die ihn mit Val kannten, Leute, die ihn mit Anna kannten, und Leute, die ihn mit Mary Lynn kannten. Er ging in verschiedene Restaurants mit ihnen und reiste sogar in verschiedene Urlaubsländer. „Er liebte den Jazz“, sagt Val. Mit Anna hörte er Andrea Bocelli. „Unser Lied war ¸Time to Say Goodbye‘ “, erinnerte sie sich. Mary Lynn machte ihn mit der Oper vertraut. „Er kam extra aus Kalifornien her, als ich ihn zu einer Aufführung von Mephisto einlud. “Seine politische Einstellung war ebenfalls variabel und wurde den Ansichten seiner jeweiligen Gefährtin angepasst: Mit der einen war ein gemäßigter Demokrat, mit der anderen ein gemäßigter Republikaner.
In den Ferien fuhr er nach New Jersey, um seine Eltern zu besuchen und seine Frau und seine Kinder zu sehen. Obwohl er seit vielen Jahren von seiner Ehefrau Christine getrennt lebte, ließ er sich nie scheiden. Jenen Freunden, die seine Familie kannten, erklärte er, das sei „so ein katholisches Ding“. 14 Er unterstützte Frau und Kinder weiterhin finanziell und telefonierte häufig mit seinen Kindern. Doch Atlantic City war ein Teil seines Lebens, von dem nur wenige Leute etwas wussten. Da die Frauen in seinem Leben spürten, dass sie ihm nicht wirklich trauen konnten, konnten sie ihm nicht jene Art von bedingungsloser Liebe und Hingabe schenken, nach der er sich sehnte. Seine zwanghaften Täuschungsmanöver isolierten ihn auf Dauer.
Es war nicht zu vermeiden, dass die Komplexität seines Lebens irgendwann Tribut forderte. Eines Tages ließ er seinen Palm Pilot, in dem er Polizeikontakte in aller Welt gespeichert hatte, im Stadion der New York Yankees liegen. Zum Glück fanden die für das Stadion verantwortlichen Sicherheitskräfte das Gerät. Dann vergaß er sein Mobiltelefon in einem Taxi.
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