Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Sawahiri, Abu Ubajdah, Saif al-Adl und Abu Hafs -, die allesamt das Gedankengut ihres geistigen Vaters Qutb weitertrugen. Aber ohne Bin Laden waren die Ägypter nur al-Dschihad. Ihre Ziele waren beschränkt. Zu einer Zeit, da es zahlreiche islamistische Bewegungen gab, die allesamt nationalistische Ziele verfolgten, hatte Bin Laden die Vision, ein internationales Heer von heiligen Kriegern aufzubauen. Allein seine Führungspersönlichkeit hielt eine Organisation zusammen, die bankrott und ins Exil getrieben worden war. Bin Ladens Zielstrebigkeit machte ihn taub gegenüber den moralischen Zweifeln, die eine Ermordung so vieler Menschen wecken musste, und gleichgültig gegenüber den wiederholten Fehlschlägen, die die Träume der meisten Männer zerstört hätten. All diese Eigenschaften passen zu einem Sektenführer oder einem Geisteskranken. Aber es war auch beträchtliche Kunstfertigkeit erforderlich, um nicht nur eine spektakuläre Wirkung zu erzielen, sondern auch die Phantasie der Männer zu fesseln, deren Leben Bin Laden brauchte.
19 DIE GROSSE VERMÄHLUNG
Gesellschaftliche Ereignisse waren bei al-Qaida selten, aber Bin Laden war in Festtagsstimmung. Er arrangierte eine Hochzeit zwischen seinem 17-jährigen Sohn Mohammed und Abu Hafs 14 Jahre alter Tochter Chadija. 1 Sie war ein stilles, ungebildetes Mädchen, und die Frauen fragten sich, was sie und Mohammed einander zu sagen haben würden. Sie konnten sich lediglich vorstellen, welche Überraschungen das Mädchen in ihrer Hochzeitsnacht erwarteten, denn sexuelle Dinge wurden selten besprochen, vor allem mit Kindern.
Bin Laden hatte einen großen Saal gemietet, einen ehemaligen Kinosaal am Stadtrand von Kandahar, der von den Taliban ausgeschlachtet worden war. Dort hatten die 500 geladenen Männer Platz. (Die Frauen versammelten sich in einem getrennten Gebäude mit der jungen Braut.) Bin Laden leitete die Festlichkeiten ein, indem er ein langes Gedicht vortrug. Er entschuldigte sich dafür, dass es nicht sein eigenes Werk, sondern das seines Redenschreibers sei: „Brüder, wie die meisten von euch wissen, bin ich kein Krieger des Wortes“, sagte er bescheiden. Das Gedicht enthielt eine Würdigung des Anschlags auf die Cole:
Einen Zerstörer können selbst die Tapferen fürchten,
Er löst Schrecken im Hafen und auf offener See aus,
Er durchschneidet die Wellen begleitet von Hochmut und falscher Macht,
Seinem Untergang steuert er entgegen, gehüllt in eine gewaltige Illusion,
Denn eine Jolle wartet auf ihn, schaukelnd in den Wellen . 2
Zwei Fernsehkameras nahmen das Ereignis auf, aber Bin Laden war mit dem Resultat nicht zufrieden. Er wusste, dass die arabischen Satellitensender das Gedicht ausstrahlen würden, das zudem für ein Rekrutierungsvideo von al-Qaida verwendet werden sollte: Also ließ er die Kameras am folgenden Morgen erneut aufstellen, um seine Rezitation ein zweites Mal aufzuzeichnen. Er ließ sogar einige Anhänger aufmarschieren, die für lobende Zwischenrufe verantwortlich waren, so als wären statt einer Hand voll Journalisten und Kameramänner immer noch hunderte Zuhörer im Saal. Er nahm die Imagepflege derart ernst, dass er einen der Reporter, der ein Digitalfoto von ihm geschossen hatte, aufforderte, die Aufnahme zu wiederholen, da sein Nacken auf dem ersten Bild „zu massig“wirke. Er hatte sich den Bart gefärbt, um die grauen Strähnen zu überdecken, aber er konnte die dunklen Augenringe nicht verbergen, Zeugen der Beklemmung und Schlaflosigkeit, die seine ständigen Begleiter geworden waren. 3
Der zwölfjährige Hamsa, das einzige Kind von Bin Ladens Lieblingsfrau, las ebenfalls ein Gedicht vor. Hamsa hatte lange schwarze Wimpern und das schmale Gesicht seines Vaters, und er trug einen Turban und eine Tarnweste. „Welches Verbrechen haben wir begangen, dass man uns zum Verlassen unserer Heimat zwingt?“, fragte er feierlich und mit beeindruckender Selbstsicherheit. „Wir werden die Ungläubigen für alle Zeit bekämpfen!“
„Allahu achbar!“, antworteten die Männer. Sie begannen zu singen:
Unsere Männer sind in Aufruhr, unsere Männer sind in Aufruhr.
Wir werden unsere Heimat nicht zurückgewinnen
und unsere Schande nicht tilgen,
wenn nicht durch Blut und Feuer.
Und so geht es weiter.
Und so geht es weiter . 4
Im Anschluss an das Nachmittagsgebet wurde das Essen aufgetragen: Fleisch, Reis und Tomatensaft. Für Bin Laden war dies eine seltene Extravaganz, doch einige der Gäste hielten die Speisen für
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