Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
Mudschahid sie auf einen Felsen stellen, einen Draht ziehen und sie dann aus einiger Entfernung abschießen - eine höchst gefährliche und ungenaue Verfahrensweise.
Mit einem Fernglas beobachtete Chalifa den sowjetischen Stützpunkt, der in einem breiten Tal drei Kilometer entfernt lag. 47 Die Araber waren isoliert und verwundbar. Sie verfügten nur über ein einziges Auto, mit dem sie nachts Wasser und Nachschub heranschafften 48 , doch sie konnten leicht in eine Falle geraten und ausgelöscht werden. Unter Bin Ladens Kommando waren bereits einige von ihnen durch Nachlässigkeit umgekommen. Chalifa war wütend darüber, dass hier unnötige Risiken eingegangen und sinnlos Leben aufs Spiel gesetzt wurden.
Er blieb drei Tage im Lager und sprach mit den Leuten aus Bin Ladens Umfeld - vor allem mit Ägyptern, die Sawahiris Dschihad-Gruppe nahe standen, und Studenten aus Saudi-Arabien, darunter auch mit seinem Studenten Wali Khan, der sich in Chalifas Biologie-Kurs in Medina durch herausragende Leistungen hervorgetan hatte. Dabei erfuhr Chalifa, dass die Araber Bin Laden - und nicht Assam oder Sajaf - zu ihrem Anführer gewählt hatten. Das überraschte ihn, denn bislang hatte er seinen Freund nicht für einen Menschen gehalten, der nach Macht strebte.
Chalifa fragte sich, ob Osama vielleicht von den Ägyptern gesteuert wurde. Auf diesen Gedanken kam er, als ihm Abu Ubajdah und Abu Hafs, die beiden großen, bulligen ägyptischen Berater Bin Ladens, auf den Leib rückten und seine politischen Ansichten herauszufinden versuchten. Sie sprachen davon, dass die Führer der arabischen Länder Kuffar seien - ein Begriff, der für Ungläubige steht, in Bezug auf Muslime aber bedeutet, dass es sich um Abtrünnige handelt, die dem Glauben den Rücken gekehrt haben. Solche Verräter müssen nach Auffassung vieler Fundamentalisten getötet werden. Als ihnen Chalifa widersprach, versuchten sie, ihn von Bin Laden fernzuhalten. Chalifa ging ihnen aus dem Weg; er würde sich von Fremden keine Vorschriften machen lassen.
Chalifa und Bin Laden schliefen gemeinsam in einem Unterstand, der mit Segeltuch ausgekleidet war und eine Holzdecke hatte, auf der Erde aufgeschichtet war. Sein Freund war so ausweichend, dass Chalifa zu dem Schluss kam, er wolle ihm etwas verheimlichen. Am dritten Tag stellte ihn Chalifa schließlich zur Rede. „Alle sind wütend - sie lehnen diesen Ort ab“, sagte Chalifa. „Auch deine Männer. Ich habe mit ihnen gesprochen.“
Bin Laden war entsetzt. „Warum reden sie denn nicht mit mir?“, fragte er.
„Diese Frage musst du dir selbst stellen“, erwiderte Chalifa. „Aber alle in Afghanistan sind gegen diese Idee!“
Bin Laden wiederholte seine Vision von der Schaffung einer arabischen Streitmacht, die sich überall für die Sache der Muslime einsetzen sollte. Mit diesem armseligen Lager in den Bergen versuche er dabei einen Anfang zu machen.
„Wir sind hierher gekommen, um den Afghanen zu helfen, nicht um eine eigene Bewegung zu gründen!“, erinnerte ihn Chalifa. „Und außerdem bist du kein Soldat, was willst du also hier?“
Ihre Lautstärke steigerte sich im Laufe ihres Gesprächs. In den zehn Jahren, die sie sich mittlerweile kannten, hatten sie noch nie gestritten. „Das ist der Dschihad!“, rief Bin Laden. „Dadurch wollen wir in den Himmel kommen!“
Chalifa wies ihn darauf hin, dass er für das Leben der Männer verantwortlich sei. „Gott wird dich für jeden Blutstropfen zur Rechenschaft ziehen. Und da ich dein Freund bin, kann ich nicht hinnehmen, dass du hier bleibst. Du musst gehen, oder ich gehe.“
Bin Laden weigerte sich kühl. Chalifa verließ das Lager. Die beiden hatten sich für immer entfremdet.
OBWOHL ER die Bitten Chalifas und anderer zurückwies, machte sich Bin Laden Sorgen wegen der wiederholten Fehlschläge der arabischen Brigade und der Gefahren, denen seine Männer in der Höhle des Löwen ausgesetzt waren. „Ich begann über neue Strategien nachzudenken und erwog zum Beispiel, Höhlen und Tunnel auszuheben“, erzählte er. 49 Er lieh sich von der Saudi Binladin Group Bulldozer, Lader, Lastwagen und Bagger und holte sich ein paar tüchtige Ingenieure 50 , um sieben künstliche Höhlen zu graben, die gut getarnt wurden und oberhalb des wichtigsten Nachschubweges aus Pakistan lagen. 51 Einige dieser Höhlen waren mehr als 90 Meter lang und sechs Meter hoch und wurden als Schutzräume bei Luftangriffen, als Schlafsäle, Lazarette und Waffenlager
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