Der Tod wird euch finden - Al-Qaida und der Weg zum 11 September Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 2007
ihre Vorschläge abzulehnen, aber er war auch der Militanteste unter den Diskussionsteilnehmern, und es war nur schwer einzuschätzen, auf welche Seite er sich schlagen würde. Obwohl Assam bei der Unterredung den Vorsitz führte, richteten sich die Beiträge an Bin Laden, denn allen war klar, dass das Schicksal des Dschihad in seinen, nicht in ihren Händen lang.
Laut den bruchstückhaften handschriftlichen Aufzeichnungen von Abu Rida wurde über folgende drei allgemeine Punkte diskutiert: 36
a. Teilst du die Meinung von Scheich Abdullah
• in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Kampftruppe des Scheichs aufgelöst hat.
b. Das künftige Projekt liegt im Interesse der ägyptischen Brüder.
c. Das nächste Stadium ist unsere Arbeit im Ausland
• hierzu gibt es unterschiedliche Auffassungen
• Waffen sind reichlich vorhanden.
Die Männer stellten fest, dass seit der Errichtung der Löwenhöhle mehr als ein Jahr vergangen war, der Stützpunkt aber immer noch nicht viel mehr als ein Ausbildungslager war. Die Araber durften nach wie vor nicht an den wichtigen Kämpfen teilnehmen. Die Schulung der Jugend sei von großer Bedeutung, darin waren sich die Männer einig, aber jetzt sei es an der Zeit, den nächsten Schritt zu tun. „Wir sollten uns auf den ursprünglichen Gedanken besinnen, mit dem wir hergekommen sind“, notierte Abu Rida in seiner krakeligen Handschrift. „Das heißt, wir müssen mit einem neuen Projekt wieder bei Null anfangen.“
In seinem Beitrag ging Bin Laden, der jetzt aufgrund seines gewachsenen Ansehens unter den Arabern „Scheich“genannt wurde, auf seine Kriegserfahrungen in Afghanistan ein: „Ich war nur eine Einzelperson. Wir hatten weder eine Organisation noch eine islamische Vereinigung. Es dauerte eineinhalb Jahre - eine Zeit der Schulung und des Aufbaus von Vertrauen, eine Phase, in der die Brüder geprüft wurden, die zu uns stießen, und in der wir uns selbst der islamischen Welt beweisen mussten. Obwohl ich all diese Aufgaben unter äußerst widrigen Umständen in Angriff nahm und nur sehr wenig Zeit zur Verfügung stand, haben wir gewaltige Fortschritte erzielt.“Er erwähnte Assam nicht, den eigentlichen geistigen Vater der arabischen Afghanen; das war jetzt Bin Ladens Legende. Hier wurde erstmals der epische Ton vernehmbar, der bald seine Reden zu durchziehen begann - die Stimme eines Mannes, der seine schicksalhafte Bestimmung erkannt hat.
„Was unsere ägyptischen Brüder betrifft“, fuhr Bin Laden fort und ging damit auf ein Thema ein, das unter seinen Gefolgsleuten anscheinend umstritten war, „so darf nicht übersehen werden, dass sie sich in den schlimmsten Stunden tapfer geschlagen haben.“
Darauf erklärte einer der Männer, die wichtigsten Ziele der Araber seien zwar nicht erreicht worden, „aber wir haben mit allem gearbeitet, was wir hatten“, doch „wir haben eine Menge Zeit verloren“.
„Wir sind gut vorangekommen“, erwiderte Bin Laden, vielleicht zur Verteidigung. Er verwies auf die „ausgebildete, folgsame und ergebene Jugend“, die sich bereitwillig einsetzen lasse.
In den Aufzeichnungen findet sich zwar kein Hinweis darauf, aber schließlich wurde über die Bildung einer neuen Organisation abgestimmt, deren Aufgabe darin bestehen solle, den Dschihad nach dem Abzug der Sowjets am Leben zu halten. Es ist nur schwer vorstellbar, dass sich diese Männer auf irgendetwas einigen konnten, doch allein Abu Hadscher votierte gegen die neue Gruppe. Abu Rida fasste die Diskussion zusammen und stellte fest, es müsse innerhalb einer angemessenen Frist ein Zeitplan entwickelt werden und dann müssten qualifizierte Leute gefunden werden, die den Plan in die Praxis umsetzten. „Nach einer anfänglichen Schätzung werden sechs Monate nach der Gründung von al-Qaida 314 Brüder ausgebildet und einsatzbereit sein.“Die meisten Teilnehmer der Diskussion hörten hier zum ersten Mal den Namen al-Qaida. Die Mitglieder der neuen Gruppe sollten aus den fähigsten Vertretern der arabischen Afghanen rekrutiert werden, doch es war nach wie vor unklar, was die Organisation nach dem Ende des Dschihad tun oder wohin sie gehen sollte. Vielleicht wusste es auch Bin Laden noch nicht.
Nur wenigen Anwesenden war bewusst, dass al-Qaida informell bereits einige Monate zuvor von einer kleinen Gruppe von Vertrauten Bin Ladens ins Leben gerufen worden war. Medani al-Tajeb, Bin Ladens Freund aus Dschidda, der dessen Nichte geheiratet hatte, war am 17. Mai, am Tag
Weitere Kostenlose Bücher