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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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schrecklich«, sagte Mia und sah, wie Sgubin nickte. »Es tut mir so leid.«
    »Würden Sie sich ein bißchen um Ihre Nachbarin kümmern?« fragte Sgubin. »Zumindest bis die Verwandten kommen?«
    »Ja... Natürlich... gleich...«, stotterte Mia. »Ich komme gleich hinüber. In zehn Minuten.«
    »Ich komm schon zurecht«, sagte die alte Dame traurig. »Es macht nichts, wenn du nicht kannst.« Sie wandte sich um, und Sgubin führte sie bis zum Eingang.
    Es blieb ihr wirklich nichts erspart. Mia saß auf dem Bett und raufte sich das Haar. Wäre es nicht besser, endlich Laurenti anzurufen und zu erzählen, wie alles passiert war? Aber wer würde ihr jetzt noch glauben?
    *
    »Er war ein guter Junge«, sagte Rosalia mit müder, aber gefaßter Stimme. Noch war sie zu angespannt, als daß Verzweiflung und Trauer sie überwältigen konnten. »Er sah nicht schlimm aus. Aber natürlich haben sie ihn zurechtgemacht. Das tun sie wohl immer.« Rosalia stellte Wein und Wasser auf den Tisch, setzte sich wieder und schenkte ein. Dann faßte sie Mias Hände. »Aber warum Angelo? Was hat er getan? Im Juni wäre er fünfundvierzig geworden.«
    Mia rang vergebens nach Worten. Steif saß sie da und betrachtete das graue Haar der alten Dame, die schluchzend zu ihr sprach. Als das Telefon klingelte, stand Rosalia unter Mühen auf.
    »Die Verwandten kommen nach der Arbeit«, sagte sie, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. »Mein armer Junge. Angelo war alles, was ich hatte.« Auch Mia kamen die Tränen. »Ich bin mir sicher, daß Calisto damit zu tun hat«, sagte die Alte. »Er hat mir nie gefallen, aber sie kannten sich schon seit der Schulzeit. Calisto stammt auch aus Servola, auch wenn er jetzt in der Stadt wohnt. In den letzten Tagen haben sie viel gestritten, und sie haben sich sogar geprügelt, wie ich im Dorf gehört habe. In der Bar. Es ging um dich.«
    Mia erschrak. »Um mich?« Sie schaute Rosalia mit großen Augen an.
    »Angelo hatte dich sehr gern, aber du warst mit Calisto unterwegs. Das hat ihn tief gekränkt.«
    »Das konnte ich doch nicht ahnen, Rosalia. Wenn ich das gewußt hätte...«
    Mia starrte die Wand an und verstummte.
    »Ich weiß, mein Kind. Aber es war so. Früher haben sie ein paar Geschäfte zusammen gemacht. Ganz sicher hatten sie auch deswegen Krach, und dann kamst du noch dazu. Calisto hat keinen guten Charakter, Mia.« Sie schaute ihr lange und eindringlich in die Augen. »Ich habe es auch der Polizei gesagt.«
    »Was?« Mia spürte einen Kloß im Hals.
    »Daß sie Calisto vernehmen sollen. Daß er es war.«
    »Und was haben die gesagt?«
    »Inspektor Sgubin hat versprochen, daß er ihn sich gleich vorknöpft. Hoffentlich gibt er es schnell zu. Nur dann kann ich meinen Sohn ohne Zorn beerdigen. Armer Angelo! Immer wurde er von Calisto zu krummen Dingen überredet. Einmal wurde er sogar verurteilt. Calisto aber hat ein langes Vorstrafenregister.« Rosalia faßte Mia bei den Händen. »Es gefällt mir gar nicht, mein Kind, daß du mit diesem Lump ausgehst.«
    Mia nickte. Es war ihr neu, daß Calisto vorbestraft war, aber es überraschte sie nicht. Auf einmal dachte sie an den Tag ihrer Abreise und sehnte Calisto herbei. Der Gedanke, ihn verlassen zu müssen, gefiel ihr nicht.
    »Welche Vorstrafen?« fragte sie schließlich.
    »Einbruch, Diebstahl, Hehlerei, Betrug. Und natürlich die Jugendstreiche, als sie noch jung waren. Angelo hat bald damit aufgehört, Calisto nicht.«
    »Hatte Angelo eine Arbeit? Ich sah ihn fast immer zu Hause.«
    »Er war selbständig und machte alles, was kam. Handwerklich war er sehr geschickt.« Rosalia zeigte auf die Wände. »Das ganze Haus hat er in Ordnung gebracht. Schnell und gut. Er konnte fast alles, und wenn er Hilfe brauchte, dann holte er seine Freunde, die Spezialisten für alles mögliche waren. Nur einmal war er angestellt. Für kurze Zeit bei der Stadt. Aber das hat ihm nicht gefallen. Er war zu unabhängig und konnte keine Chefs brauchen, die von allem nichts verstehen. Und die Arbeit war auch nicht schön. Einmal sollte er in der Risiera di San Sabba Ausbesserungen vornehmen. Das ist das ehemalige Lager dort unten. Da sind im Krieg schlimme Dinge passiert. Nach einem Anschlag der Neonazis sollte Angelo die Schmierereien beseitigen.«
    Seit der Entdeckung der Lagerhalle hatte Mia immer wieder von der »Risiera« gehört, meist in Zusammenhang mit diesem Diego de Henriquez. Mia war erleichtert, daß Rosalia ein anderes Thema berührte. Vielleicht bot es Ablenkung

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