Der Tod wirft lange Schatten
wirklich Ausdauer.«
Marietta entwand ihm die Sonnenbrille und schaute ihn frech an. »Dein übliches Aftershave ist es jedenfalls nicht, was ich rieche.«
»Scher dich zum Teufel, Marietta. Ich habe ein Alibi.«
»Zu komisch, daß mir soeben die Staatsanwältin aus Pola über den Weg gelaufen ist. Sie ging so schnell, daß sie mich nicht einmal sah. Sie hatte eine Reisetasche über die Schulter gehängt und trotz der Eile einen geradezu befriedigten Gesichtsausdruck.«
»Wir haben natürlich die ganze Nacht zusammen verbracht, wenn du das meinst. Und zur gleichen Zeit war ich auch zu Hause bei Frau und Kindern. Frag Laura, wenn es dir beliebt. Es ist ganz einfach: ich bin geklont. Selbst du, die Frau, mit der ich mehr Zeit als mit allen anderen in meinem Leben verbracht habe, hast es nicht bemerkt.«
»Um Gottes willen! Du und geklont. Das bringt nicht einmal Frankenstein fertig.« Marietta drehte ab und stöckelte die Cavana hinunter.
Laurenti kaufte Zeitungen und setzte sich vor die »Bar Unità«. Kaffee trinken und Zeitung lesen in aller Öffentlichkeit war ein Luxus, den er sich sonst nie leistete. In Kürze würde das Gerücht umgehen, daß der Vizequestore den ganzen Tag im Café saß, anstatt für Sicherheit in der Stadt zu sorgen.
Il Piccolo meldete, daß in der Nähe von Laurentis Heimatstadt Salerno eine Zuhälterbande aufgeflogen war, die sich mit Damen aus Osteuropa auf Altenbetreuung spezialisiert hatte. Der Aufmacher des Lokalteils berichtete von der Festnahme eines Kokaindealerrings zwischen Mailand und Triest, die auf die Ermittlungen der Carabinieri zurückging. Auch eine Bar um die Ecke, dessen Eigentümer ein ehemaliger Kollege war, war in die Sache verwickelt. Laurenti kannte ihn gut. Und noch eine Meldung zierte die Titelseite des Lokalteils: Schmierereien gegen den Papst, den Bischof und die katholische Kirche an den Mauern der Kathedrale von San Giusto, die in diesem Jahr das siebenhundertste Jubiläum feierte. Unter Verdacht stand ein radikaler Antiklerikaler, der schon früher mit Eierwürfen gegen die Karfreitagsprozession bekanntgeworden war. Die Wettervorhersage meldete eine weiterhin ungebrochene Hitzeperiode.
Laurenti griff nach dem Mobiltelefon und rief Galvano an. Der pensionierte Gerichtsmediziner nahm beim ersten Klingeln ab und stotterte verblüfft, er habe mit einem anderen Anruf gerechnet. Die Leitung müsse frei bleiben, er könne jetzt nicht sprechen. Auf Laurentis Frage, ob alles in Ordnung sei, antwortete er gereizt, daß er kein Kindermädchen brauche, schon gar nicht morgens um acht.
Laurenti warf die Münzen für den Espresso auf den Tisch und faltete die Zeitung zusammen. Er kicherte vor sich hin, als er über die Piazza Unità Richtung Büro ging. Zuerst Marietta und dann Galvano. Die Hitze schien allen zu schaffen zu machen. Aber wenigstens hatte er Živa noch gesehen. Zu lange Zeit hatte sie sich rar gemacht.
Vor dem Rathaus standen die Fotografen der Tageszeitungen, zwei Kamerateams der Fernsehsender, eine Menge Vigili urbani und der glatzköpfige Bürgermeister, dessen Jackett wie üblich über dem Bauch spannte. Ein offizieller Besuch war nicht angesagt. Es mußte etwas anderes passiert sein. Laurenti schlug einen großen Bogen um den »Brunnen der vier Kontinente« und schlich sich über die anschließende Piazza della Borsa davon.
*
Seit zwei Stunden klingelte ihr Telefon, doch sie war zu müde, um aufzustehen und es abzuschalten. Es war längst dunkel gewesen, als sie von dem Ausflug übers Meer zurückgekommen waren. Der Motor des geliehenen Bootes hatte auf der Höhe von Pirano gestreikt, und Calisto mußte über sein Mobiltelefon den Eigentümer verständigen, der versprochen hatte, sie mit einem anderen Boot abzuholen. Es hatte Stunden gedauert, bis er gekommen war. Einmal hatte ein Fischer haltgemacht und geschimpft, weil sie nicht einmal Positionslichter angeschaltet hatten. Sein Angebot, sie an Land zu schleppen, hatte Calisto abgelehnt.
Mia erwachte mit Kopfschmerzen. Endlich griff sie zum Hörer und vernahm die Stimme des Polizisten, der sich freundlich erkundigte, weshalb sie nicht zum Abendessen gekommen war. Schließlich wechselte er den Tonfall und bestellte sie für fünfzehn Uhr in sein Büro. Mia stimmte widerwillig zu. Sie wußte nicht, was Laurenti von ihr wollte. Es würde nicht lange dauern, beruhigte sie Laurenti.
Es sollte ihr letzter Tag in Triest sein. Der Termin bei der Notarin war auf elf Uhr angesetzt. Dann sollte der
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