Der Todesflug der Cargo 03
schlürfte ruhig seinen Kaffee. »Für jemanden wie mich ist jeder unaufgeklärte Absturz eines Flugzeugs ein Dorn im Fleisch, das können Sie mir glauben. Wenn ich ein Arzt wäre, würde ich sagen, das sind unsere Problempatienten. Wie Kranke, die man nicht unter Kontrolle hat und die einem schlaflose Nächte bereiten.«
»Gehört die Cargo 03 auch zu jenen Kranken, die Ihnen schlaflose Nächte bereiten, Mr. Steiger?« fragte Pitt trocken.
»Um ehrlich zu sein, nein. Man muß die Kirche auch im Dorf lassen und die Dinge in der richtigen Relation sehen. Wir haben es hier mit einem Absturz zu tun, der passiert ist, als ich ein kleiner Junge von vier Jahren war. Es muß Ihnen doch einleuchten, dass wir bei der Air Force etwas anderes zu tun haben, als Tag und Nacht über ein Flugzeug nachzudenken, das vor geschlagenen 34 Jahren auf einem Flug über dem Pazifik verschollen ist. Wir haben die Akte von Cargo 03 geschlossen. Diese Maschine liegt nach menschlichem Ermessen auf dem Grund des Ozeans und hat das Geheimnis ihrer Tragödie mit in die Tiefe genommen.«
Pitt sah seinem Gesprächspartner eine Weile lang wortlos in die freundlichen braunen Augen. Dann schüttelte er entschlossen den Kopf. »Sie irren sich, Mr. Steiger! Das Verschwinden der Cargo 03 mag eine geheimnisvolle Tragödie sein. Aber der Schlüssel zu diesem Geheimnis liegt nicht auf dem Meeresgrund. Er liegt hier, mitten in den Rocky Mountains.«
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen gingen Pitt und Steiger getrennte Wege. Pitt begab sich in ein Hochtal in einiger Ent
fernung von Lauras Berghütte, eine Schlucht, die so eng war, dass der gecharterte Hubschrauber sie nicht anfliegen konnte. Steiger, Pitts Besucher, machte sich auf, einen Bach zu finden, in dem er sich mit einiger Aussicht auf Erfolg als Goldwäscher betätigenkonnte. Ein klarer, kalter Morgen zog herauf. Über den Berggipfeln waren vereinzelt weiße Wolken zu sehen. Die Temperatur betrug zwölf Grad über null.
Am frühen Nachmittag war Pitt mit seiner Erforschung der Schlucht fertig. Er machte sich auf den Rückweg zur Berghütte. Der kaum markierte Pfad führte durch den Wald, am Table Lake vorbei und von dort einen breiten Wildbach hinauf. Am Ufer des Baches, etwa tausend Meter oberhalb der Einmündung in den See, traf er Steiger.
Oberst Steiger kauerte auf einem großen flachen Stein in der Mitte des rege dahinfließenden Bergbachs und schwenkte ein Sieb.
»Schon reich geworden?« rief Pitt in das Rauschen des Baches hinein.
Steiger wandte sich um, winkte Pitt mit breitem Grinsen zu und watete ans Ufer. »Fort Knox werde ich heute wohl noch nicht sprengen. Ich bin froh, wenn ich ein halbes Gramm zusammenbringe.« Er sah mit einem freundlichen, zugleich etwas skeptischem Lächeln zu Pitt hinüber. »Und Sie? Sind Sie fündig geworden?«
»Nichts«, sagte Pitt. »Es war ein ungewöhnlich schöner Spaziergang. Aber gefunden habe ich nichts.«
Steiger zog eine Packung Zigaretten aus der Gesäßtasche und bot Pitt eine Zigarette an, bevor er sich selbst eine anzündete. Pitt lehnte dankend ab. »Wissen Sie«, sagte Steiger nach einer Weile nachdenklich. »Sie sind der klassische Fall eines unverbesserlichen Dickkopfes. Stur wie ein Panzer.«
»Das sagen meine Freunde auch«, lachte Pitt. Steiger nickte und ließ den Rauch genüßlich zwischen seinen Lippen hervorquellen. »Meinen Sie nicht, dass man auch wissen muß, wann der richtige Moment ist, ein Projekt aufzugeben? Ich bin da anders als Sie. Wenn ich sehe, dass mich die Spur von der Hauptsache wegführt, dass ich dabei bin, mich in Nebensächlichkeiten zu verzetteln, dann ändere ich die Richtung. Unlösbare Kreuzworträtsel, langweilige Bücher, knifflige Reparaturen im Haushalt, was auch immer wenn etwas nicht wirklich wichtig ist, lasse ich es unerledigt liegen. Das erspart mir viel Streß. Und einen frühen Tod.«
»Schade, dass Sie nicht aufhören können zu rauchen. Das wäre wichtiger«, bemerkte Pitt trocken.
»Sie sagen es«, nickte Steiger.
In diesem Moment bemerkten sie einen halbwüchsigen Jungen und ein Mädchen, die weiter oben, wo der Bach flacher und breiter verlief, auf einem selbstgezimmerten kleinen Floß standen und mit zunehmendem Tempo auf eine Engstelle zutrieben. Das Floß schwankte, und der Junge und seine Begleiterin lachten, während sie versuchten, im Gleichgewicht zu bleiben. Ohne auf die beiden Männer am Ufer zu achten, passierten sie die kleine Stromschnelle. Pitt und Steiger sahen ihnen
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