Der Todesflug der Cargo 03
Kamera peilte jetzt noch einmal die Schwanzpartie des Wracks an, die beim ersten Schwenk nicht gut zu sehen gewesen war. Die drei Männer hielten ihren Atem an, als die Serien-Nummer der vertikalen Schwanzflosse ins Bild rückte. Behutsam drehte Pitt an der Scharfeinstellung der Optik, um die Nummer genau ins Bild zu bekommen. Zahlen wurden sichtbar, zuerst eine 7, dann eine 5, dann eine 4, gefolgt von einer 0 und einer 3. Als ob er nicht glauben könnte, was da vor ihnen über den Bildschirm flimmerte, starrte Steiger zu Pitt hinüber. Sein Blick war glasig wie der eines Nachtwandlers. »Das ist doch unmöglich!« stammelte er mit leiser Stimme. »Null drei! Es
kann
einfach nicht die Cargo 03 sein! Und trotzdem steht es da geschrieben.«
»Wir müssen es wohl glauben«, antwortete ihm Pitt und bemühte sich, in seiner Stimme keinen Triumph durchklingen zu lassen. Giordino kam neben ihn und schüttelte ihm die Hand. »Ich hatte nie daran gezweifelt«, versicherte er.
»Dein Vertrauen ehrt mich«, quittierte Pitt das Lob, etwas förmlich.
»Wie geht’s weiter?« fragte Giordino. »Wir lassen eine Markierungsboje über der Fundstelle und machen für heute Schluß. Morgen tauchen wir und sehen uns einmal an, was wir im Innern des Wracks vorfinden.«
Sie setzten die Boje aus und ruderten zur Anlegestelle zurück. Immer noch schien Steiger fassungslos. »Es kann einfach nicht die Cargo 03 sein«, murmelte er. »Es kann nicht sein!«
9
Trotz der sehr kühlen Morgenluft schwitzte Pitt in dem nassen Tauchanzug. Er prüfte sein Atemgerät, dann gab er Giordino das Handzeichen, dass alles in Ordnung war, und ließ sich über die Kante des Boots ins Wasser plumpsen. Das Wasser, das sofort den Zwischenraum zwischen seiner Haut und dem dicken Neopren-Anzug zu füllen begann, war so eisig, dass es ihm fast einen Schock versetzte. Er verharrte einige Augenblicke lang dicht unter der Wasseroberfläche, kämpfte gegen ein aufsteigendes Angstgefühl und wartete darauf, dass sein Körper die hauchdünne Wasserschicht zwischen Anzug und Haut aufheizte. Nachdem die Temperatur erträglich geworden war, machte er seine Ohren frei, indem er, Mund und Nase geschlossen, die Luft nach außen preßte. Mit ein paar kräftigen Schlägen der Flossen an seinen Füßen begann er dann den Abstieg in jene seltsame nasse Welt, in der Wind und Lärm unbekannt waren. Neben sich konnte er die Leine der am Vortag verankerten Markierungsboje erkennen. Er folgte ihr in die düstere Tiefe.
Er wußte nicht, wieviel Sekunden vergangen waren, als der Seegrund wie eine geheimnisvolle Wolke von unten auf ihn zuschwebte. Die rechte Fußflosse bohrte sich beim Aufkommen in den Schlamm. Es entstand eine schmutzige, pilzförmige Wolke, die ihn entfernt an den Rauchpilz einer öltankerexplosion erinnerte, wie man sie hoch vom Suchflugzeug aus, wahrnahm.
Dirk Pitt betrachtete den Tiefenmesser, den er am Handgelenk trug. Wie er feststellte, befand er sich in 37 Meter Tiefe. Er würde sich ungefähr zehn Minuten lang in dieser Tiefe aufhalten können, ohne sich über die Dekompressionszeiten beim Wiederauftauchen Sorgen machen zu müssen.
Als Haupthindernis in dieser Tiefe erwies sich die außerordentlich niedrige Wassertemperatur. Pitt sp ürte, wie der unerbittliche, eisige Druck seine Konzentration und sein Leistungsvermögen drastisch beeinträchtigte. Er wußte, dass er keine Chance hatte, mit seiner Körperwärme länger als zehn Minuten gegen diese Kälte anzukommen. Seine Energie würde bis zur äußersten Grenze beansprucht werden und schließlich einer lähmenden Müdigkeit Platz machen.
Die Sichtweite in dieser Tiefe war gering, sie betrug nur zweieinhalb Meter. Dies war jedoch ein Faktor, der den Taucher nicht sonderlich behinderte. Der Anker der Markierungsboje war in nur etwa einem Meter Entfernung von dem versunkenen Flugzeugwrack niedergegangen, Pitt brauchte nur die Hand auszustrecken, um die metallene Oberfläche, die in einem unheilvoll düsteren Licht schimmerte, zu berühren. In den Stunden vor dem Abstieg hatte er darüber nachgedacht, welche Empfindungen er bei der Erkundung des geheimnisvollen Wracks haben würde. Er war ziemlich sicher gewesen, dass ihn, einmal allein in der Tiefe, ein Gefühl der Angst vor dem Unbekannten übermannen würde. Stattdessen schien für ihn ganz einfach ein langehegter, tiefempfundener Wunsch in Erfüllung zu gehen. Es war das Gefühl, am Ende einer langen und erschöpfenden Reise zu stehen.
In geringer
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