Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
fragte der Alte, ohne sich mit einer
Begrüßung oder irgendeiner Höflichkeitsfloskel aufzuhalten.
»Mein Name ist Andrej«, antwortete der Angesprochene. Er
konnte die Feindseligkeit des Mönches fast körperlich spüren.
Möglicherweise hatte Abu Dun Recht gehabt. Sie hätten nicht
herkommen sollen. Trotzdem fuhr er mit einem Lächeln und
einer Geste auf den Nubier fort: »Das ist Abu Dun.
Wir …«
»Und was seid Ihr?«, fiel ihm der Alte ins Wort. Andrej
konnte hören, wie noch mehr Menschen ihre Häuser verließen
und ins Freie traten. Abu Duns Pferd begann unruhig mit den
Hufen zu scharren.
»Wir sind nur Reisende«, sagte er. »Wir führen nichts Böses
im Schilde.«
Die Augen des Alten wurden schmal, und Andrej hatte das
sichere Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben.
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich das annehme?«, fragte er.
Da der Geistliche offenbar nicht viel von überflüssigen
Worten hielt, beschloss Andrej, auch direkter zu werden. »Ihr
seid nicht besonders erfreut von unserer Anwesenheit, scheint
mir. Dabei habe ich gehört, dass Gastfreundschaft zu einer der
vornehmsten Tugenden Eures Landes gehört.«
Der letzte Satz war eine glatte Lüge. Er hatte das Gegenteil
gehört, und die letzten Wochen hatten dies auch bewiesen. Je
weiter sie nach Norden gekommen waren, desto stärker hatte
die Gastfreundschaft der Menschen ab- und ihr Misstrauen
Fremden gegenüber zugenommen. Andrej war verwundert
darüber. Immerhin kamen sie aus einem Land, in dem seit zehn
Jahren Krieg herrschte, in eines, in dem die Menschen
wenigstens einigermaßen in Frieden leben konnten.
»Es wird sich zeigen, wie sehr wir von Eurem Besuch erfreut
sind«, antwortete der Mönch. »Ihr seid Reisende, sagt Ihr?
Woher kommt Ihr? Wohin seid Ihr unterwegs, und warum?«
Andrej fand nicht, dass das den Alten irgendetwas anging.
Die Menschen hier hatten möglicherweise Schlimmes mit
Fremden erlebt. Vielleicht waren sie auch nur in einem
ungünstigen Moment gekommen. Er setzte dazu an, seinem
Gegenüber eine höfliche, aber entschiedene Antwort zukommen
zu lassen, als er Schritte hinter sich hörte, und eine tiefe Stimme
sagte: »Lass es gut sein, Vater Ludowig. Ich glaube, sie sind
harmlos.«
Andrej drehte sich um und musste überrascht den Kopf in den
Nacken legen, um in das Gesicht des Mannes blicken zu
können, der hinter ihm aufgetaucht war. Er war fast so groß wie
Abu Dun, allerdings viel schlanker, und er hatte ein
breitflächiges Gesicht mit buschigen Brauen, dem aber trotzdem
etwas sehr Offenes anhaftete. Der Blick, mit dem er Andrej
maß, war aufmerksam und ein wenig abschätzend, aber ohne
Misstrauen und frei von der Feindseligkeit, die er in Ludowigs
Augen gesehen hatte.
»Ich bin Birger«, fuhr er fort, nachdem er es zugelassen hatte,
dass Andrej ihn eine Weile musterte. Er streckte die Hand aus,
und Andrej griff danach und drückte sie kurz. »Ihr müsst Vater
Ludowigs Unhöflichkeit entschuldigen, Andrej. Er hat nichts
Gutes mit Fremden erlebt.«
» Wir haben nichts Gutes mit Fremden erlebt«, sagte Vater
Ludowig. »Und vielleicht wird sich das heute wiederholen.«
Birger schien von dieser Bemerkung keine Notiz zu nehmen,
aber er warf Andrej einen Blick zu, der klarmachen sollte, dass
er es vorzog, das Gespräch nicht fortzuführen. »Ihr und Euer
Freund seid uns herzlich willkommen, Andrej«, fuhr er fort.
»Wenn Ihr ein Lager für die Nacht sucht…«
»Frisches Wasser für die Pferde und ein paar Auskünfte
werden wohl ausreichen«, mischte sich Abu Dun ein. Er war
nicht abgesessen. Andrej sah aus den Augenwinkeln, dass sich
der Platz mittlerweile mit Menschen gefüllt hatte. Es mussten
weit mehr als fünfzig sein, die einen sich allmählich enger
zusammenziehenden Kreis rings um sie herum bildeten.
»Ihr wollt heute noch weiterreiten?«, fragte Birger.
»Wir haben noch einen weiten Weg vor uns«, antwortete
Andrej.
»Und nur noch wenige Stunden Tageslicht«, fügte Birger
hinzu. »Ihr werdet die nächste Stadt nicht vor Mitternacht
erreichen. Es bleibt natürlich Euch überlassen, aber ich würde
das Risiko nicht eingehen, in den Wäldern zu übernachten. Es
ist nicht ungefährlich, vor allem für Fremde.«
»Wieso?«, fragte Abu Dun.
Birger warf einen raschen Blick auf den schwarz gekleideten
Riesen. »Die Wälder sind sehr dicht und un-wegsam«,
antwortete er. »Außerdem gibt es wilde Tiere und Ungeheuer
darin. So mancher, der hineingegangen ist, ist nicht wieder

Weitere Kostenlose Bücher