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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Dun spöttisch. »Dann haben
wir ja noch eine Woche Zeit, bevor wir anfangen, unsere Zeit
zu verschwenden.«
»Ich schlage vor, wir suchen uns erst einmal eine Herberge,
um eine vernünftige Mahlzeit zu bekommen«, sagte Andrej.
»Und gegen eine Nacht in einem sauberen weichen Bett hätte
ich auch nicht unbedingt etwas einzuwenden. Du?«
»Wenn wir es bezahlen können.«
Abu Duns Antwort erinnerte Andrej schmerzhaft daran, wie
beunruhigend schnell ihre Barschaft in den letzten Wochen
zusammengeschmolzen war. Sie waren - aus naheliegenden
Gründen - nur selten in Gasthäusern eingekehrt und hatten nur
zu oft unter freiem Himmel geschlafen und sich von dem
ernährt, was ihnen die Wälder und die Natur lieferten, sodass
die Reise nur wenig Geld gekostet hatte - aber sie hatte Geld
gekostet, und sie war lang gewesen. So bedeutungslos dieser
Umstand, nach allem, was hinter ihnen lag, auch sein mochte:
Sie waren nahezu mittellos, und es wurde allmählich Zeit, dass
sie sich Gedanken darüber machten, wie sie ihre
zusammengeschmolzene Barschaft wieder aufbessern konnten.
Abu Dun hatte auch schon einige Vorschläge gemacht, die
Andrej aber allesamt abgelehnt hatte, denn es war genau die Art
von Vorschlägen gewesen, wie er sie von einem ehemaligen
Piraten und Sklavenhändler erwartet hatte.
»Wir könnten auf dem nächsten Jahrmarkt auftreten«, spottete
nun Andrej.
»Und womit?«
»Wir könnten kämpfen«, antwortete Andrej. »Ich bin sicher,
die Leute bezahlen gerne dafür, zusehen zu dürfen, wie ein
Muselmane geschlachtet wird.«
Abu Dun zog eine Grimasse, war aber klug genug, auf eine
Antwort zu verzichten. Andrej hingegen fragte sich, ob er
möglicherweise einen gar nicht so dummen Vorschlag gemacht
hatte, ohne es zu beabsichtigen. Sie waren immerhin auf der
Suche nach einer Zigeunerin - und wo sollte man mit dieser
Suche beginnen, wenn nicht beim fahrenden Volk?
Sie ritten weiter. Eine kalte Brise schlug ihnen ins Gesicht, als
solle ihnen klargemacht werden, dass sie in diesem Land nicht
willkommen waren. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, und
der Herbst versprach früh und kalt zu kommen.
Eine Weile folgten sie der nur teilweise gepflasterten Straße,
die sich in manchmal vollkommen sinnlos scheinenden Kehren
und Windungen in ein lang gestrecktes Tal schlängelte, in dem
sich eine lockere Ansammlung von Häusern und vereinzelt
stehenden Gehöften befand; zu weit auseinander gezogen, um
eine richtige Ortschaft zu bilden, aber trotzdem mit einer Kirche
in der Mitte und einem großzügig bemessenen Dorfplatz
ausgestattet. Es waren hübsche, saubere Gebäude mit weiß
gestrichenen Wänden und roten und schwarzen
Schindeldächern. Die größtenteils schon abgeernteten Felder,
die sich an die Hänge schmiegten, machten allesamt einen
ordentlichen Eindruck. Dennoch erfüllte der Anblick Andrej mit
Unbehagen.
Abu Dun schien es ganz ähnlich zu ergehen, denn er knurrte
leise: »Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht«, sagte Andrej. »Aber jetzt frag mich nicht,
warum.«
»Weil es eine Falle ist«, erklärte Abu Dun. »Sieh dir dieses
Rattenloch an!
Niemand kommt dort raus, wenn die da unten es nicht
wollen.«
Zweifellos war es ursprünglich anders geplant worden,
überlegte Andrej.
Man musste schon ein so geschultes Auge haben wie Abu
Dun, aber einmal darauf aufmerksam geworden, war es nicht zu
übersehen: Das Tal bildete eine natürliche Festung, die auch
von wenigen Verteidigern lange gegen eine Übermacht gehalten
werden konnte. Aber wenn die Bewohner des Dorfes dort unten
jemanden in ihrem Tal festhalten wollten, dann konnten sie es
tun.
Aber warum sollten sie es tun?, dachte Andrej. Die Leute dort
unten kannten sie nicht, und sie hatten somit auch keinen
Grund, sie zu fürchten.
Sie mussten aufhören, nur an Jagd und Flucht zu denken.
Letzten Endes hatten sie Transsylvanien und Siebenbürgen
verlassen, weil sie des Lebens als ständig Gejagte überdrüssig
waren.
Sie näherten sich dem Dorf nur langsam, und Andrej legte
auch keinen besonderen Wert darauf, sich unauffällig zu
benehmen. Ganz im Gegenteil: Die Menschen dort unten sollten
ruhig sehen, dass sie furchtlos kamen und sich nicht etwa
anschlichen.
Seltsamerweise kam ihnen niemand entgegen, als sie das erste
Haus erreichten und daran vorbeiritten. Keine neugierigen
Kinder liefen ihnen entgegen oder rannten ein Stück hinter
ihnen her, keine ängstlichen Frauen lugten durch Fensterläden
oder durch Türritzen zu

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