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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ihnen heraus, keine Männer
unterbrachen ihr Tagewerk, um sie misstrauisch zu beäugen.
Zumindest der kleine Teil des Ortes, den sie von hier aus
überblicken konnten, schien wie ausgestorben zu sein. Aber von
der Höhe des Berghanges aus hatte Andrej Bewegungen
wahrgenommen, und aus einigen Kaminen kräuselte sich
Rauch.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Abu Dun zum wiederholten
Male. »Wo sind die Leute?«
»Vielleicht ist ihnen bei deinem Anblick so sehr der
Schrecken in die Knochen gefahren, dass sie Hals über Kopf die
Flucht ergriffen haben«, erwiderte Andrej spöttisch.
Abu Dun lachte nicht. Sein Blick tastete sich ebenso
misstrauisch wie aufmerksam nach rechts und links, und seine
Hand legte sich auf den Griff des Krummsäbels, den er anders
als sonst an der rechten Seite trug, obwohl er kein Linkshänder
war.
»Das gefällt mir nicht«, sagte er noch einmal.
Die unheimliche Stille, die sie umgab, änderte sich nicht, bis
sie den gepflasterten Platz in der Mitte des Dorfes erreichten.
Hier standen die Häuser ein wenig dichter. Sie bildeten einen
fast geschlossenen Dreiviertel-Kreis, in dessen Mitte sich eine
weiß getünchte Kirche mit einem schlanken Glockenturm
erhob. Das zweiflügelige Tor stand weit offen, sodass Andrej
erkennen konnte, dass der Raum dahinter ebenfalls leer war.
Aber nun wusste Andrej, dass sie nicht mehr allein waren. Abu
Dun sah oder hörte mit Sicherheit nichts von der Falle, in die
sie sehenden Auges hineingeritten waren, aber Andrejs
übermenschlich scharfen Sinnen entgingen die winzigen
verräterischen Zeichen menschlichen Lebens keineswegs. Ein
leises, aber hörbares Atmen da, das Rascheln von Stoff dort, ein
Schleifen von Metall oder das Knarren einer Bodendiele …
»Sie sind da«, sagte er leise und ohne sich zu Abu Dun
herumzudrehen.
»Ich weiß«, antwortete der Nubier ebenso leise und nahezu
ohne die Lippen zu bewegen.
»Woher?«
»Wenn sie nicht hier sind, dann sind sie nirgendwo«,
antwortete Abu Dun. »Ich würde mich genau hier verstecken,
wenn ich einem Dummkopf auflauern wollte, der direkt in eine
Falle läuft, obwohl ihn sein Freund davor gewarnt hat.«
Andrej warf ihm einen schrägen Blick zu, lenkte sein Pferd
bis in die Mitte des Dorfplatzes und hielt an. Nachdem auch
Abu Dun neben ihm zum Stehen gekommen war, richtete er
sich im Sattel auf, sah sich nach allen Seiten um und rief dann
mit hoch erhobener, klarer Stimme: »Ihr könnt ruhig
herauskommen! Wir wissen, dass ihr hier seid! Wir wollen euch
nichts zu Leide tun!«
»Aber sie vielleicht uns«, murmelte Abu Dun. Sein Blick
tastete sich weiter misstrauisch und unstet über die Häuser, die
den Dorfplatz säumten. Er nahm zwar die Hand vom Schwert,
wirkte aber noch immer angespannt und aufs Höchste
konzentriert.
Es verging noch eine geraume Weile, in der rein gar nichts
geschah, und Andrej fing gerade an, sich Sorgen zu machen,
aber dann wurde eine Tür geöffnet, und ein Mann mittleren
Alters und ein halbwüchsiger Knabe traten heraus. Beide
wirkten angespannt, und sie sahen ihn und insbesondere Abu
Dun mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an, die für
Andrejs Empfinden weit über die normale Vorsicht hinausging,
die man Fremden gegenüber walten ließ. Andererseits wusste er
wenig über dieses Land und noch weniger über seine
Bewohner.
Er wollte sein Pferd herumdrehen, um sich den beiden zu
nähern, aber Abu Dun schüttelte den Kopf und deutete dann in
die entgegengesetzte Richtung, zur Kirche hin. Als Andrej sich
im Sattel herumdrehte, erkannte er eine schmalschultrige
Gestalt, die eine zerschlissene Mönchskutte trug und unter dem
Kirchenportal aufgetaucht war. Der Geistliche war ihm ein
gutes Stück näher als die beiden anderen, sodass er sein Gesicht
deutlicher erkennen konnte. Er war uralt und hatte dünnes,
schmutziggraues Haar. Um den Hals trug er ein hölzernes
Kreuz, und der Ausdruck auf seinem Gesicht war eindeutig als
Feindseligkeit zu erkennen.
Trotzdem stieg Andrej vom Pferd, warf Abu Dun einen
mahnenden Blick zu, sich nicht von der Stelle zu rühren, und
näherte sich mit langsamen Schritten der Kirche. Die Blicke des
greisen Mönches ließen ihn keinen Augenblick los. Gleichzeitig
hörte er Geräusche hinter sich. Ohne sich herumdrehen zu
müssen, wusste er, dass weitere Dorfbewohner aus ihren
Häusern getreten waren.
Andrej blieb stehen, als er den Fuß der aus drei Stufen
bestehenden Treppe erreicht hatte.
»Wer seid Ihr?«,

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