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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hineingeworfen hatte. Andrej zog missbilligend die
Augenbrauen zusammen, als Abu Dun ihn öffnete und eine
Anzahl Silber- und Kupfermünzen auf seine Handfläche
schüttete.
»Lass das!«, wies er Abu Dun zurecht. »Das gehört uns
nicht.«
»Du vergisst, mit wem du redest«, sagte Abu Dun.
»Keineswegs«, antwortete Andrej.
Abu Dun machte ein beleidigtes Gesicht, legte den Beutel
jedoch nicht zurück, sondern schüttete sich auch noch den
restlichen Inhalt auf die Handfläche und zählte den Betrag, ehe
er ihn - mit deutlichem Bedauern - in den Beutel zurückgleiten
ließ und diesen wieder in der Kiste verstaute.
»Das ist eine höllische Menge Geld«, sagte er. »Genug für
unsere Reise.«
»Zu schade, dass du mir dein Wort gegeben hast, nicht mehr
zu stehlen«, erinnerte Andrej ihn.
»Hehe!«, widersprach Abu Dun. »Wann soll das gewesen
sein?«
»Jetzt gerade«, antwortete Andrej. »Ich weiß, was du jetzt
denkst. Vergiss es gleich wieder. Ich möchte keine
Schwierigkeiten. Die Leute hier haben uns freundlich
aufgenommen.«
»Freundlich?« Abu Dun riss die Augen auf. »Dann möchte
ich die Menschen in diesem Land nicht erleben, wenn sie
unfreundlich sind.«
»Hör jetzt auf, wenn du keinen Wert darauf legst,
unfreundlich zu erleben«, riet ihm Andrej.
Abu Dun ließ sein prachtvolles Gebiss zu einem breiten
Grinsen aufblitzen, aber er hatte auch begriffen, dass Andrejs
Worte nicht ganz so scherzhaft gemeint gewesen waren, wie sie
vielleicht geklungen hatten. Also ging er nicht weiter auf die
vermeintliche Unfreundlichkeit der Dorfbewohner ein, sondern
blickte kopfschüttelnd zu der Tür, hinter der Birger
verschwunden war.
»Dieser Birger ist ein seltsamer Mann«, murmelte er.
»Wieso?«
Der Nubier hob die Schultern. »Er ist entweder der größte
Dummkopf, dem ich je begegnet bin, oder der raffinierteste
Lügner, den ich jemals gesehen habe.«
Eine ganze Weile später kehrte Birger in Begleitung einiger
anderer Dorfbewohner zurück, und nachdem beide Seiten ihr
noch immer vorhandenes Misstrauen allmählich überwanden,
kamen sie mehr und mehr miteinander ins Gespräch. Weitere
Männer und Frauen und auch etliche Kinder erschienen, sodass
Birgers an sich geräumiges Haus schon bald zu klein wurde und
sie den lauen Abend nutzten und sich draußen um ein Feuer
setzten, das umso höher loderte, je größer der Kreis wurde, der
sich darum bildete. Es war kein wirkliches Fest, aber die
Stimmung war entspannt und nahezu fröhlich, und nach und
nach gesellte sich fast das gesamte Dorf zu ihnen - abgesehen
von Vater Ludowig, der den gesamten Abend in seiner Kirche
verbrachte und Gott um Beistand gegen die fremden Teufel
anflehte, wie das hell erleuchtete Gotteshaus vermuten ließ.
Bis lange nach Mitternacht saßen sie zusammen, und die
Dörfler lauschten den Erzählungen von fremden Ländern und
abenteuerlichen Reisen, die Andrej und später auch Abu Dun
zum Besten gaben. Die meisten dieser Geschichten hatten sie
sich gerade in dem Moment ausgedacht, in dem sie sie
erzählten. Andrej vermutete, dass zumindest Birger dies ahnte,
denn manchmal glomm ein sonderbares Lächeln in seinen
Augen auf, aber welchen Unterschied machte das schon? Sie
hatten versprochen, sich für die Gastfreundschaft dieser
Menschen erkenntlich zu zeigen, indem sie von dem erzählten,
was draußen in der Welt vor sich ging. Die meisten der
Dorfbewohner würden Zeit ihres Lebens ohnehin nicht aus
ihrem Dorf herauskommen.
Spät zogen sie sich in die Kammer zurück, die Birger ihnen
zugewiesen hatte. Andrejs Kopf war schwer von dem süßen
Wein, dem er in größerem Maße zugesprochen hatte, als gut
war, und auch Abu Dun kämpfte mit den Folgen des Gelages.
Andrej schlief ein, kaum dass er sich auf dem einfachen, aber
sauberen Lager ausgestreckt hatte.
Und erwachte von dem intensiven Gefühl, nicht mehr allem
zu sein.
Er blieb mit geschlossenen Augen liegen und konzentrierte
sich ganz auf die Eindrücke, die ihm seine Sinne lieferten.
Selbst wenn er nicht über die übermenschlich scharfen Sinne
eines Unsterblichen verfügt hätte, wäre ihm nicht verborgen
geblieben, dass sich jemand bei ihnen im Zimmer aufhielt. Der
Eindringling gab sich zwar alle Mühe, leise zu sein, aber er
stellte sich nicht sonderlich geschickt an.
Stoff raschelte, Andrej hörte scharfe, nur unzureichend
unterdrückte Atemzüge, die die Furcht des Eindringlings
verrieten, und er glaubte sogar seinen rasenden Herzschlag zu
vernehmen. Er roch

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