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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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allem an Maria. Er wusste, dass er diesen Gedanken nicht
zulassen sollte, aber es war zu spät. Birgers Worte brannten wie
Säure in seinem Inneren, und Birger schien sein Schweigen
auch richtig zu deuten.
»Habt Ihr das je, Andrej ?«
»Selbst wenn wir es täten«, antwortete Andrej aus-weichend.
»Was, wenn Ihr Euch irrt, und Eure Tochter ist doch tot?«
»Dann wüsste ich, dass ihre Seele endlich Frieden gefunden
hat«, antwortete Birger. »Ich wäre zufrieden damit, es zu
wissen. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass sie womöglich
Tag für Tag von diesen Bestien gequält wird - so lange, bis sie
anfängt, mich zu verfluchen, weil ich sie gezeugt habe.«
»Wir haben keine Zeit«, sagte Abu Dun. »Der Weg, der noch
vor uns liegt, ist weit, und …«
»So weit, dass zwei oder drei Tage wohl kaum ins Gewicht
fallen«, fiel ihm Birger ins Wort. Er schüttelte heftig den Kopf.
»Ihr wollt nach Nürnberg?«
»Das stimmt«, sagte Andrej.
»Aber Ihr seid fremd in diesem Land. Wenn Ihr den Straßen
folgt, verliert Ihr eine Woche, wenn nicht mehr. Ich kenne eine
Abkürzung durch die Wälder.
Die zeige ich Euch.«
»Nachdem wir zurück sind«, vermutete Andrej.
»Nachdem wir zurück sind«, bestätigte Birger.
»Ihr müsstet uns begleiten«, sagte Andrej. Abu Duns
bohrende Blicke beachtete er nicht. Er wusste, dass der Nubier
es nicht guthieß, dem Drängen Birgers nachzugeben, und er
hatte Recht damit, tausendmal Recht. Aber Andrej konnte auch
Birgers Frage nicht vergessen. Ob er wüsste, was es hieß, einen
geliebten Menschen zu verlieren? Es verging seit zehn Jahren
kein Tag, an dem ihn dieses Gefühl nicht quälte. »Wir kennen
den Weg zu diesem Dorf nicht, und wir wissen auch nicht, wie
Eure Tochter aussieht.«
»Andrej!«, sagte Abu Dun nachdrücklich.
»Ich werde Euch begleiten«, sagte Birger. »Und ein paar von
den anderen auch. Wir haben gestern Nacht darüber gesprochen
…« Er hob die Schultern.
»Ich will ehrlich sein. Nicht alle sind mit meinem Plan einverstanden. Sie haben Angst, die alte Fehde damit neu zu
beleben.«
»Nicht ganz zu Unrecht«, gab Andrej zu bedenken.
»Sie war niemals zu Ende«, antwortete Birger heftig. »Glaubt
Ihr, sie lassen uns jetzt in Ruhe? Bestimmt nicht. Sie werden
wiederkommen, vielleicht in diesem Jahr, vielleicht im
nächsten, aber sie werden kommen.«
»Und dir deine Tochter vielleicht wieder wegnehmen«,
schloss Abu Dun.
»Euer Streit geht uns nichts an. Andrej!«
»Abu Dun hat Recht, wisst Ihr?« Andrejs Stimme wurde
sanft. »Wir würden alles nur noch schlimmer machen.«
»Das soll nicht Eure Sorge sein!« Birger blieb hartnäckig.
»Ich flehe Euch an, Andrej, helft mir. Nennt mir Euren Preis,
und ich werde ihn bezahlen. Ich bin kein armer Mann.«
»Was mich zu der Frage bringt, woher dein Reichtum
eigentlich stammt«, hakte Abu Dun nach. »Wie kommt ein
einfacher Bauer wie du an einen Beutel mit fünfzig
Goldstücken - selbst wenn sie falsch sind?«
»Sie gehörten den Letzten, die der Verlockung meines
Geldbeutels nicht widerstehen konnten«, antwortete Birger.
»Außerdem war dies einmal eine wohlhabende Gemeinde.
Bevor sie uns überfallen und die meisten von uns erschlagen
und unser Vieh gestohlen haben.«
»Ihr seid ein Mann, der anscheinend das offene Wort liebt.«
»Das bin ich«, antwortete Birger. »Nun? Wie entscheidet Ihr
Euch?«
Andrej konnte Abu Duns flehende Blicke spüren. Und er
hatte das Gefühl, einen schrecklichen Fehler zu begehen.
Trotzdem.
»Zwei oder drei Tage habt Ihr gesagt? Nicht mehr?«
»Und danach bringe ich Euch auf dem kürzesten Weg hier
heraus«, bestätigte Birger. Abu Dun seufzte vernehmlich auf.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung erreichten sie die
Schneegrenze. Sie hatten eine Weile damit zugebracht, sich zu
streiten, denn schließlich war es Abu Dun gewesen, der immer
öfter auf ihre bedrohliche finanzielle Lage hingewiesen und
mehr als einmal darauf gedrängt hatte, etwas zu unternehmen,
das ihnen die notwendigen Geldmittel für den Rest der Reise
einbringen würde. Infolge ihres Streites hatten sie den ganzen
Tag über kaum noch ein Wort miteinander gewechselt.
Sie waren zu fünft: Andrej, Abu Dun, Birger und zwei
schweigsame junge Burschen aus dem Dorf, die keinen
besonders aufgeweckten Eindruck machten, dafür aber kräftig
wirkten. Andrej hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich ihre
Namen zu merken. Wäre es nach Birger gegangen, dann hätte
sich ihnen noch ein Dutzend weiterer Männer angeschlossen,

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