Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
sah überrascht zu Helga hin. Sie hielt seinem Blick
ruhig und sehr ernst stand.
»Meine Frau ist tot«, fuhr Birger fort. »Ich bin ihnen gefolgt,
nachdem meine schlimmsten Wunden verheilt waren. Ich fand
ihre Leiche auf halbem Weg in den Bergen. Sie haben sie …«
Seine Stimme versagte, und seine Hände begannen für einen
Moment so heftig zu zittern, dass er sie zu Fäusten ballen
musste. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Ich will keine Rache, Andrej. Einst wollte ich sie. Hätte ich
es damals gekonnt, dann hätte ich ihr Dorf bis auf die
Grundmauern niedergebrannt und jede lebende Seele
ausgelöscht. O ja, ich wollte Rache! Ich hätte mein Leben
geopfert, um mich zu rächen! Ich habe Gott verflucht und
meine Seele dem Teufel angeboten, wenn er mir dafür geholfen
hätte, mich an dem feigen Mörderpack zu rächen, doch er hat
nicht geantwortet.« Er stöhnte auf.
»Aber das ist vorbei. Rache nutzt niemandem. Es macht die
Toten nicht wieder lebendig, wenn man noch mehr Menschen
erschlägt. Man kann nicht ein Unrecht durch ein anderes
aufwiegen.«
»Amen«, sagte Abu Dun spöttisch.
Andrej schenkte ihm einen verärgerten Blick. »Und was wollt
Ihr dann?«, fragte er an Birger gewandt.
»Meine Tochter«, antwortete Birger. »Sie ist jetzt zwölf Jahre
alt. Ich möchte, dass Ihr sie befreit.«
»Eure Tochter.« Andrej nickte nachdenklich und sah wieder -
diesmal für länger - zu Helga hin, aber sie erwiderte seinen
Blick so ruhig und ausdruckslos wie zuvor. »Wieso glaubt Ihr,
dass sie noch lebt?«
»Ich weiß es«, antwortete Birger, in einem Ton, der keinen
Widerspruch duldete. »Ich spüre, dass sie noch am Leben ist,
genauso, wie ich gespürt habe, dass meine Frau tot war. Und
dass sie schrecklich leidet! Sie ist jetzt genau in dem Alter, in
dem sie den teuflischen Gelüsten dieser Bestien am besten
dienen kann.« Ein gequälter Ausdruck erschien auf seinem
Gesicht, und für einen Moment schimmerten seine Augen
feucht. »Soll ich Euch sagen, was sie meiner Frau angetan
haben?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Ich kann es mir vorstellen.« Er
versuchte, einen verständnisvollen Ton in seine Stimme zu
legen. »Ich kann nachempfinden, was Ihr jetzt fühlt, Birger.
Aber es ist lange her. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, eine sehr
lange Zeit. Selbst wenn Eure Tochter noch am Leben wäre, so
könnte es sein, dass …« Er zögerte unmerklich, »dass sie
vielleicht nicht mehr die ist, als die Ihr sie gekannt habt«,
schloss er.
»Ich weiß, was Ihr meint, Andrej«, antwortete Birger. Er hatte
sich jetzt wieder in der Gewalt. Seine Stimme klang fest. »Aber
ich spüre, dass sie noch lebt, und ich spüre, wie sehr sie leidet.
Ich höre ihre Seele in jeder Nacht um Hilfe flehen. Ich hätte sie
längst befreit, aber diese Teufel sind auf der Hut, und ihr Dorf
ist eine fast uneinnehmbare Festung.«
»Und wir sind nur zu zweit«, sagte Abu Dun.
»Ihr seid Krieger«, beharrte Birger. »Wir sind das nicht, und
sie sind es auch nicht.«
»Immerhin haben sie die Hälfte von euch erschlagen.«
Birger machte eine abfällige Geste. »Sie haben uns
überrascht. Wir wussten nicht, dass sie kommen. Alle haben tief
geschlafen. Für Männer wie Euch wird es sicher nicht schwer
sein, in ihr verfluchtes Kloster vorzudringen und meine Tochter
zu befreien.« Er wandte sich nun direkt an Abu Dun. »Solltet
Ihr herausfinden, dass meine Tochter tot ist, so bezahle ich
Euch trotzdem.
Macht Euch darum keine Sorgen.«
»Das ist es nicht«, sagte Andrej rasch. »Wir führen solche
Aufträge für gewöhnlich nicht aus, das ist alles. Es muss doch
hier eine Obrigkeit geben,«
»Den Landgrafen, ja«, grollte Birger. Allein der Ton, der sich
dabei in seine Stimme schlich, machte Andrejs nächste Frage
überflüssig. Trotzdem stellte er sie.
»Und warum bittet Ihr nicht den Landgrafen um Hilfe?«
»Er ist weit weg«, sagte Birger. »Die hohen Herren in ihren
Schlössern interessieren sich doch nicht für das Schicksal solch
einfacher Leute. Sie schicken einmal im Jahr ihre
Steuereintreiber, sonst kümmert sie nichts.«
So sehr, dachte Andrej, schien sich dieses Land gar nicht von
dem zu unterscheiden, aus dem sie geflohen waren. Er
schüttelte den Kopf.
»Es tut mir Leid, Birger, aber …«
»Habt Ihr jemals geliebt, Andrej?«, unterbrach ihn Birger.
»Habt Ihr jemals einen Menschen geliebt wie nichts anderes auf
der Welt und ihn dann verloren?«
Andrej schwieg. Er dachte an Maria. Auch an Alessa, aber
vor

Weitere Kostenlose Bücher