Der Todesstoss
weit an die
Dunkelheit gewöhnt hatte, dass er wenigstens Schemen
erkennen konnte.
Die Hütte war winzig, ein einziger drei mal fünf Schritte
messender Raum, dessen spärliche Einrichtung vollkommen
zertrümmert war.
Hier musste ein gnadenloser Kampf getobt haben.
Aber er war vermutlich nicht von langer Dauer gewesen.
Vater Ludowig lag verkrümmt in einem Winkel der Hütte. Er
lebte noch, wie seine röchelnden Atemzüge bewiesen, aber
schon das war ein Wunder. Selbst ein viel jüngerer und
kräftigerer Mann hätte die furchtbaren Verletzungen und den
schrecklichen Blutverlust kaum überleben können.
Andrej schob das Schwert in die Scheide, ging zu ihm und
kniete neben dem sterbenden Pfarrer nieder. Ludowigs Augen
waren geschlossen. Aus den tiefen Schnitt- und Risswunden an
seinem Hals und in seinem Gesicht lief noch immer das Blut. Er
würde sterben.
Andrej streckte die Hand nach dem so zerbrechlich
aussehenden Hals des alten Mannes aus, um ihm eine letzte
Gnade zu erweisen und sein Leiden zu beenden, führte die
Bewegung aber nicht zu Ende. Es war nicht notwendig. Er sah,
dass Ludowig nicht noch einmal erwachen würde.
Erfüllt von Trauer und Zorn richtete Andrej sich auf und
suchte den Boden mit Blicken ab. Er fand die Spur fast sofort.
Ein verschmierter blutiger Abdruck, der zu einem Wesen
gehörte, das nicht ganz Mensch, aber auch nicht vollständig
Tier war, sondern eine widernatürliche Mischung aus beidem.
Sie führte vom Leichnam des Priesters fort zur Tür und brach
dann ab, aber Andrej wusste, wohin sie führen würde. Dennoch
ließ er sich noch einmal in die Hocke sinken und streckte die
Hand aus. Die Spur war noch frisch; das Blut noch nicht
eingetrocknet.
Rasch stand er auf und trat wieder aus der Hütte. Abu Dun
war mittlerweile näher gekommen und führte die beiden Pferde
an Zügeln hinter sich her. Er stellte keine Frage. Ein Blick in
Andrejs Gesicht reichte, um zu wissen, was geschehen war.
Abu Dun saß auf, als Andrej noch zehn Schritte entfernt war
und zu laufen begann. Er drehte die Pferde in die Richtung, in
die sie nun reiten würden, und hielt Andrej den Zügel hin. Sie
sprengten los, kaum dass Andrej in den Sattel gesprungen war.
»Wie lange ist es her?«, schrie Abu Dun über das Donnern
der Pferdehufe hinweg.
»Nicht lange!«, rief Andrej zurück. »Nur ein paar Minuten.
Vielleicht holen wir ihn noch ein, bevor er die Schattenklamm
erreicht!«
Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er das Gefühl, zu Abu
Dun zu gehören.
Es waren nur Winzigkeiten; die Selbstverständlichkeit, mit
der sie sich verständigten und mit der jeder zu wissen schien,
was der andere dachte und von ihm erwartete.
Für die Strecke, die Günther und ihn fast einen halben Tag
gekostet hatte, brauchten sie kaum eine Stunde. Zwei- oder
dreimal glaubte Andrej, eine geduckt huschende Gestalt im
hohen Gras zu sehen, aber jedes Mal erwies es sich nur als
Täuschung oder als Schatten, der ihnen Bewegung vorgaukelte.
Andrej ließ sein Pferd in einen raschen Trab und schließlich
in Galopp fallen, nahm das Tempo aber schließlich wieder
zurück, als deutlich wurde, dass Abu Dun nicht mithalten
konnte, ohne sich über die Maßen zu verausgaben.
In Gedanken gemahnte er sich zur Vorsicht. Auch wenn Abu
Dun sich bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen, befand er
sich in einem Zustand, in dem jeder andere Mann schon längst
vor Erschöpfung zusammengebrochen wäre. Er aber war viel zu
stolz, um das zuzugeben.
Andrej musste auf ihn Acht geben.
»Und jetzt?«, fragte Abu Dun, als sie endlich am Eingang der
Schattenklamm angelangt waren. Vor ihnen hörte der
Grasboden auf und ging in den steinigen Untergrund der
Schlucht über. Andrej schwieg einen kurzen Moment, dann
schwang er sich aus dem Sattel und ließ sich in die Hocke
sinken.
Es war unheimlich. Der Geruch war ganz schwach; nur ein
Hauch. Aber er war wahrnehmbar - als Mischung aus Fäulnis,
altem Blut und Wildaroma.
»Es ist hier entlanggekommen«, sagte er. »Vor nicht allzu
langer Zeit.« Er war fast sicher, dass die Fährte alt war,
möglicherweise mehrere Tage. Es war der Geruch von etwas
Gefährlichem und Wildem.
Abu Dun runzelte die Stirn. »An dir ist ein Bluthund verloren
gegangen«, sagte er.
Andrej sah zornig zu ihm hoch. Abu Dun grinste noch einen
Moment lang weiter, dann erlosch sein Grinsen und machte
einem ernsten Ausdruck Platz.
»Entschuldige.«
Andrej stand auf, drehte sich herum, um wieder in den Sattel
zu steigen und beließ
Weitere Kostenlose Bücher