Der Todesstoss
es bei einem Kopfschütteln. Mit den
Pferden würden sie noch zwanzig Schritte weit kommen.
Ohne dass es eines weiteren Wortes bedurft hätte, stieg auch
Abu Dun ab und ließ sich vorsichtig zu Boden sinken. Sie
nahmen ihr Gepäck, wandten sich um und drangen Seite an
Seite tiefer in die Schattenklamm ein. Andrej beobachtete Abu
Dun aus den Augenwinkeln. Der Nubier hielt scheinbar
mühelos mit ihm Schritt, aber seine Bewegungen waren längst
nicht so forsch und sicher, wie er es von früher kannte. Andrej
konnte riechen, dass Abu Dun nicht gesund war.
Sie brauchten annähernd doppelt so lange, um das Ende der
Klamm zu erreichen, als Andrej erwartet hatte. Abu Dun wollte
sofort weitergehen, aber Andrej schüttelte den Kopf und ließ
das Gepäck von der Schulter gleiten.
»Wir machen eine Pause«, sagte er. »Die Kletterei wird
anstrengend genug.«
»Und du bist der Meinung, dass ich es nicht schaffe«,
ergänzte Abu Dun ärgerlich.
»Ich bin nicht einmal sicher, dass ich es schaffe«, antwortete
Andrej mit einer Geste auf den steil ansteigenden, mit Geröll
und Felstrümmern übersäten Hang. »Wenn ich dieses
Monstrum wäre, dann würde ich genau dort oben warten.
Sollten wir vollkommen erschöpft dort oben ankommen, dann
gäbe es keine Fluchtmöglichkeit, falls wir in einen Hinterhalt
geraten.«
Abu Duns Gesichtsausdruck machte deutlich, was er von
dieser Erklärung hielt. Er schwieg jedoch, ließ sich in den
Schatten eines Felsens sinken und schloss die Augen. Im
nächsten Augenblick war er eingeschlafen und begann lautstark
zu schnarchen.
Andrej gönnte ihm zwei Stunden Ruhe, bevor er ihn wieder
weckte und sie ihren Weg fortsetzten. Abu Duns Dankbarkeit
drückte sich in einem Schwall bissiger Bemerkungen über die
verlorene Zeit aus. Seine Bewegungen waren weder kraftvoller
noch sicherer geworden. Aber wenigstens war er nicht noch
schwächer geworden.
Erst am späten Nachmittag erreichten sie das obere Ende des
Hanges; eine felsige Hochebene ohne Vegetation, über die der
Wind pfiff und die so öde und feindlich wirkte, wie sich Andrej
die Rückseite des Mondes vorstellte.
Der Weg den Hang hinauf war kaum länger als eine halbe
Meile gewesen, aber viel steiler, als Andrej befürchtet hatte.
Nicht nur Abu Duns, sondern auch seine eigenen Kräfte hatten
mehrmals versagt, und sie hatten in immer kürzeren Abständen
anhalten und sich ausruhen müssen. Jetzt blieb ihnen nur noch
wenig Tageslicht, und Andrej hatte das Gefühl, dass sie weiter
von ihrem Ziel entfernt waren denn je.
Abu Dun sprach aus, was Andrej nur dachte. »Wenn deine
Ungeheuer wirklich hier oben sind, dann müssen sie sehr
genügsam sein«, sagte er, während sein sich Blick langsam und
sehr misstrauisch über die kahle Weite vor ihnen tastete. Die
Hochebene war nicht endlos, aber doch groß genug, um die
verschwommenen Schatten an ihrem Ende wie ein neues
Gebirge aussehen zu lassen, das in einem anderen Land lag.
Als er nicht antwortete, sah Abu Dun ihn stirnrunzelnd an und
fragte: »Hast du die Fährte wieder aufgenommen?«
»Ich bin kein Hund«, sagte Andrej verärgert. Er wollte noch
weit mehr sagen, aber er beherrschte sich. Sie waren beide
müde, erschöpft und reizbar.
Außerdem kam Abu Duns Bemerkung der Wahrheit näher,
als Andrej zugeben wollte. Die unheimliche Verbesserung
seiner Sinneswahrnehmungen hatte ihn bisher allenfalls
verwirrt, aber mittlerweile machte sie ihm Angst.
»Das ist schade«, sagte Abu Dun nach einer Weile. »Dann
werden wir sie wohl kaum finden.« Er schüttelte müde den
Kopf. »Nimm es mir nicht übel, Hexenmeister - aber das war
keine von deinen besseren Ideen. Lass uns zurückgehen.«
Andrej blickte zweifelnd den Hang hinab. Der Abstieg würde
noch schwieriger werden, als es der Aufstieg gewesen war, und
damit noch länger dauern. Er schüttelte den Kopf.
»Morgen«, sagte er, »bei Sonnenaufgang.«
»Du scheinst ganz versessen darauf zu sein, hier oben zu
übernachten, wie?«
»Ich bin überhaupt nicht versessen darauf, auf halber Strecke
zu übernachten«, antwortete Andrej, »oder mir zwischen den
Felsen den Hals zu brechen. Und ich …« Er brach ab.
»Und was?«, fragte Abu Dun.
Andrej schwieg. Abu Dun wollte seine Frage wiederholen,
aber Andrej machte eine rasche, mahnende Geste und legte mit
geschlossenen Augen den Kopf zur Seite, um zu lauschen.
Er hörte nur das Geräusch des Windes, der fast un-gehindert
über die Ebene strich und sich heulend an Felsen und
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