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Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Duns Stelle nicht anders
gedacht.
Niemand, der ein solches Leben nicht selbst gelebt hatte,
konnte ermessen, welchen Preis er dafür zahlte.
»Und jetzt?«, fragte er. »Jetzt willst du nicht mehr so werden
wie ich?«
»Natürlich will ich das«, antwortete Abu Dun. »Und eines
Tages werde ich dich dazu bringen, es zu tun, Hexenmeister.
Aber nicht jetzt.«
»Dann ist es ja gut«, sagte Andrej abweisend. Er mochte diese
Gespräche nicht, und Abu Dun wusste das. Eines Tages würde
Abu Dun in seinen Armen sterben, hoffentlich erst in vielen
Jahren, grau geworden und friedlich.
Und auch er selbst würde nicht sechs- oder siebenhundert
Jahre alt werden.
Er würde auf dem Scheiterhaufen enden, wenn er nicht Glück
hatte und zuvor einem Schwert begegnete, das besser geführt
wurde als das seine. Die Welt war nun einmal so. Er war
anders, und die Menschen und das Schicksal billigten auf Dauer
nichts, was sie nicht verstehen konnten und was ihnen Angst
machte.
Er verscheuchte den Gedanken. Im Moment gab es anderes zu
tun. Vielleicht sollten sie versuchen, die nächsten drei Tage zu
überleben, und sich danach Gedanken um die nächsten drei
Jahrhunderte machen.
Allmählich ritten sie höher in die Berge hinauf. Es wurde
kälter, obwohl die Sonne ihr Licht mit geradezu
verschwenderischer Freigebigkeit über den Himmel verteilte.
Andrej war schon bald froh, dass Thobias ihnen die warmen
Mäntel gegeben hatte. Dabei war das Land rings um sie herum
noch grün. Der Winter kam früher in diesem Teil der Welt, als
er es gewohnt war.
»Was ist mit Ludowig?«, fragte Abu Dun. »Traust du ihm?«
»Thobias’ Vater?« Andrej dachte über diese Frage nach, ohne
zu einer wirklichen Antwort zu gelangen. Er hob die Schultern.
»Ich denke schon.«
»Einem Pfaffen?« Abu Dun schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ausgerechnet du traust einem Kuttenträger? Wie kommt das?«
Sie hatten die Bergwiese erreicht. Statt einer Antwort machte
Andrej eine Kopfbewegung zu der kleinen Hütte an ihrem
jenseitigen Rand hin. »Er wartet dort drüben auf uns.«
Abu Dun sah ihn mit wachsender Verwunderung an, aber er
beließ es bei einem Achselzucken. Sein Blick verharrte noch
einen Moment auf Andrejs Gesicht und begann dann
misstrauisch das weite Grün der Alm abzutasten.
Sie ritten weiter. Nichts schien sich geändert zu haben, seit
Andrej das letzte Mal hier gewesen war; selbst die Kühe waren
noch da. Neben der Hütte war jedoch jetzt ein Maulesel
angebunden, auf dessen Rücken eine zerschlissene Decke lag.
Vermutlich das Tier, mit dem Vater Ludowig gekommen war,
obgleich die Vorstellung Ludowigs auf dem Rücken eines
störrischen Maulesels Andrej ein Lächeln abrang.
Als sie sich der Hütte auf zwanzig Schritte genähert hatten,
hielt Andrej das Pferd an und hob die Hand.
»Was?«, fragte Abu Dun knapp. Seine Rechte senkte sich auf
den Griff des Krummsäbels.
Andrej konzentrierte sich für einen Moment. »Hier stimmt
etwas nicht«, sagte er. »Da ist Blut.«
»Blut?« Abu Dun sah ihn verständnislos an. »Was meinst du
damit?«
»Blut«, wiederholte Andrej, Er machte eine Kopfbewegung
zur Hütte hin.
»Dort drinnen. Ich kann es riechen.«
»Riechen? Auf diese Entfernung?« Abu Duns Stimme ließ
keinen Zweifel daran aufkommen, was er von dieser
Behauptung hielt.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, wiederholte Andrej. »Bleib
zurück.«
»Dein Vertrauen ehrt mich zutiefst«, sagte Abu Dun, erntete
damit aber nur einen weiteren ärgerlichen Blick Andrejs.
»Ich brauche jemanden, der mir Rückendeckung gibt«,
schnappte Andrej.
»Hier stinkt es geradezu nach einer Falle!«
Der spöttische Ausdruck verschwand von Abu Duns Zügen.
Stattdessen sah der Nubier plötzlich angespannt und aufs
Höchste konzentriert aus. Gleichzeitig mit Andrej schwang er
sich vom Pferd und zog seine Waffe. Er musste einen
Schmerzensschrei unterdrücken, drehte sich aber herum, um die
Wiese und den mit Felsbrocken und - trümmern durchsetzten
Waldrand auf der anderen Seite im Auge zu behalten.
Andrej näherte sich der Hütte mit äußerster Vorsicht. Der
Blutgeruch wurde stärker, aber aus der offen stehenden Tür
drang nicht der mindeste Laut. Er ging schneller, blieb dicht vor
der Tür noch einmal stehen und trat dann ein, das Schwert halb
erhoben und die linke Hand abwehrend vorgestreckt.
Da die Hütte keine Fenster hatte und er direkt aus dem grellen
Licht der Mittagssonne kam, benötigten selbst seine
überscharfen Augen einige Sekunden, bis er sich so

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