Der Todesstoss
weiteres Wort stieg er in den
Sattel und wartete voller Ungeduld darauf, dass Abu Dun es
ihm gleichtat. Auch der Nubier saß auf, allerdings mit
bedächtiger Langsamkeit. Er warf Thobias einen
herausfordernden Blick zu.
Sie ritten los. Andrej war davon ausgegangen, dass sie wegen
Abu Duns Verletzungen nicht besonders schnell vorwärts
kommen würden, aber das Gegenteil war der Fall. Vielleicht um
seinem Ärger Ausdruck zu verleihen, legte Abu Dun ein Tempo
vor, bei dem sich Andrej sputen musste, um überhaupt
mithalten zu können. Erst als sie das Seitental verlassen hatten,
an dessen Ende der Friedhof lag, hielt er an.
»Was sollte das?«, fragte Andrej, während er an ihm
vorbeiritt und die nach rechts führende Gabelung des Weges
nahm. Seine Versicherung Thobias gegenüber, den Weg zur
Bergweide hinauf zu finden, war etwas zu vorschnell gewesen.
Er kannte die Richtung, aber er war dennoch fremd hier, und
letztendlich. sah ein Baum aus wie der andere.
»Was?«, fragte Abu Dun arglos.
»Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte Andrej. »Ich
erwarte nicht, dass du Thobias in dein großes schwarzes Herz
schließt…» »Das ist gut«, sagte Abu Dun. »Ich hätte auch viel
mehr Lust, ihn in meine große schwarze Faust zu schließen.«
»… aber er hat Recht, weißt du?«, fuhr Andrej fort. »Wir
müssen Birger stellen.
Und alle, die bei ihm sind. Und vorher müssen wir das
Ungeheuer finden.«
»Du meinst, du musst ihn stellen und du musst das Ungeheuer
finden«, fasste Abu Dun Andrejs Äußerung genauer zusammen.
Andrej riss mit einem so heftigen Ruck am Zügel, dass das
Pferd unwillig schnaubte und den Kopf zurückwarf. »Du musst
nicht mitkommen«, sagte er scharf. »Es ist ganz allein meine
Sache. Ich habe kein Recht, dich in Gefahr zu bringen. Geh
deiner Wege. Oder warte hier auf mich. Vielleicht komme ich ja
zurück.«
Auch Abu Dun zügelte sein Pferd. Sein Gesicht verfinsterte
sich - aber nur für einen Moment. Dann konnte Andrej sehen,
wie sein Zorn verrauchte und etwas … anderem Platz machte.
»Es tut mir Leid«, sagte er. »Ich wollte nicht…« Er überlegte
kurz und setzte dann neu an: »Vermutlich hast du Recht. Aber
ich kann diesem Mönchlein einfach nicht vertrauen. Könntest
du es an meiner Stelle?«
»Wahrscheinlich nicht«, gestand Andrej. Er ritt weiter, und er
konnte fast körperlich spüren, wie sich die Spannung zwischen
ihnen auflöste wie die letzten Wolken eines
Hochsommergewitters.
Es war nicht das erste Mal, dass sie nahezu grundlos in Streit
zu geraten drohten.
Bisher hatte Andrej angenommen, dass es an Abu Duns
Zustand lag. Ein Mann, der dem Tod so knapp entkommen war,
war nicht sehr duldsam.
Aber das war nur ein Teil der Wahrheit. Der andere -
unangenehmere - war, dass auch er ungerechter geworden war.
Er veränderte sich weiter.
Nachdem sie eine geraume Weile schweigend nebeneinander
hergeritten waren, ergriff Abu Dun erneut das Wort. »Was ich
vor ein paar Tagen gesagt habe, Andrej … dass … dass du mir
etwas schuldig bist…«
»Ich sagte dir doch bereits, das ist vergessen«, unterbrach ihn
Andrej. »Du musst dich nicht entschuldigen. Du hast im Fieber
geredet. Da reden die Leute oft wirres Zeug.«
»Aber es war die Wahrheit«, sagte Abu Dun leise.
Andrej wandte den Kopf und sah ihn an. Abu Dun wirkte
nicht niedergeschlagen oder verlegen, und auch sein Tonfall
war nicht der einer Rechtfertigung. Er wirkte sehr ernst.
»Was soll das heißen?«
»Jedenfalls war das am Anfang so«, sagte Abu Dun. »Das ist
die Wahrheit, Hexenmeister. Ich bin damals bei dir geblieben,
weil ich insgeheim die Hoffnung hatte, eines Tages so zu
werden wie du.«
»Einsam?«, fragte Andrej. »Immer gehetzt? Ohne einen Ort,
an den ich gehöre, oder einen Menschen, den ich lieben kann?«
»He!«, wandte Abu Dun ein. »Du hast doch mich. Ich sollte
dir böse sein.«
»Zwecklos«, antwortete Andrej. »Stell dir nur vor, wie unsere
Kinder aussehen würden.«
Abu Dun blieb ernst. »Wie alt bist du, Hexenmeister?
Sechzig?
Siebzig?«
»Ich weiß es nicht genau«, antwortete Andrej
wahrheitsgemäß. »Ungefähr.«
»Und du siehst aus wie dreißig.«, sagte Abu Dun. »Eines
Tages wirst du sechs- oder siebenhundert Jahre alt sein, und du
wirst immer noch aussehen wie fünfunddreißig. Du wirst nie
krank. Deine Wunden heilen wie durch Zauberei, und du bist so
stark wie zehn Männer. Kannst du es einem Mann verdenken,
dass er auch so werden will?«
Vermutlich hätte Andrej an Abu
Weitere Kostenlose Bücher