Der Todeswirbel
b e steht, dass er. eines Tages auftaucht. Voilà – er taucht auf. Die Möglichkeit besteht, dass eine Erpressung versucht wird. Voilà – die Erpressung findet statt. Die Möglichkeit besteht, dass man den Erpresser zum Schweigen bringen möchte. Und voilà – er wird umgebracht.«
»Tja«, meinte Spence zweifelnd. »Das sieht doch alles nach dem Schema-F-Mordfall aus. Erpressung, aus der sich ein Mord ergibt.«
»Und Sie finden das nicht interessant?«, erkundigte sich Poirot. »Solange es sich wirklich nur um den gewöhnl i chen Schema-F-Mordfall handelt, haben Sie Recht. Aber in diesem Fall liegen die Dinge anders, und das macht die Sache so überaus interessant. Nichts stimmt bei diesem Mord.«
»Nichts stimmt? Was meinen Sie damit?«
»Wie soll ich mich ausdrücken?« Poirot suchte nach Worten. »Das Muster ist falsch, es ist verzerrt.«
»Das müssen Sie mir erklären«, sagte Spence geradehe r aus. »Da komme ich nicht mit.«
»Nun, nehmen wir einmal den Toten. Es fängt schon mit ihm an, denn mit ihm stimmt etwas nicht.«
Spence machte ein zweifelndes Gesicht.
»Haben Sie denn nicht auch das Gefühl, dass mit dem Mann etwas nicht in Ordnung war?«, fragte Poirot. »Aber machen wir weiter. Möglich, dass ich die Dinge in einem eigenen Licht sehe. Underhay taucht im ›Hirschen‹ auf. Er schreibt einen Brief an Hunter. Hunter erhält diesen Brief am nächsten Morgen beim Frühstück. Und was ist seine unmittelbare Reaktion? Er schickt seine Schwester Hals über Kopf nach London.«
»Dabei kann ich nichts weiter finden«, meinte Spence. »Hunter schickte seine Schwester weg, um sie aus dem Weg zu haben und allein mit Underhay verhandeln zu können.«
»Schön, lassen wir sein Motiv für dieses plötzliche We g schicken der Schwester aus dem Spiel. Hunter sucht E noch Arden auf, und aus dem Bericht Beatrice Lippi n cotts über das belauschte Gespräch wissen wir eindeutig, dass David Hunter nicht sicher war, ob der Mann, mit dem er sprach, Robert Underhay war oder nicht. Er ve r mutete es, wusste es aber nicht.«
»Sie finden es sonderbar«, hakte Inspektor Spence ein, »dass dieser Enoch Arden nicht rundheraus sagte: ›Ich bin Robert Underhay‹, ja? Aber auch das lässt sich erkl ä ren. Wenn anständige Leute sich dazu verleiten lassen, ein krummes Ding zu drehen, verzichten sie gern darauf, ihren richtigen Namen zu nennen. Das ist die menschl i che Natur.«
»Die menschliche Natur, jawohl«, wiederholte Poirot. »Das ist wahrscheinlich die beste Antwort auf die Frage, was mich an diesem Fall so interessiert. Ich habe mir während der Verhandlung die Anwesenden in Ruhe b e trachtet. Nehmen wir zum Beispiel die Cloades. Da saßen sie alle beisammen, eine Familie, verbunden durch die gleichen Interessen und doch so grundverschieden in ihren Charakteren, Gedanken und Lebensauffassungen. Und sie alle verließen sich jahraus, jahrein auf den starken Mann, auf Gordon Cloade. Sie klammerten sich an ihn. Und was geschieht, Inspektor Spence, wenn die Eiche, um die sich der Efeu gerankt hat, plötzlich gefällt wird?«
»Die Frage schlägt nicht in mein Fach«, wehrte der I n spektor lächelnd ab.
»Ich glaube doch. Charakter, mon ami, ist nichts Festst e hendes, Unwandelbares. Ein Charakter kann erstarken, aber auch schwach werden. Wie der Charakter eines Menschen in Wahrheit beschaffen ist, tritt erst zutage, wenn eine Prüfung an ihn herantritt. Wenn ein Mensch auf sich selbst gestellt ist, dann erweist sich erst, ob er stark oder schwach ist.«
»Ich weiß nicht recht, worauf Sie hinauswollen.« Spence sah etwas verwirrt drein. »Die Cloades machen alle einen guten Eindruck auf mich. Es ist eine anständige Familie, und Sie werden sehen, wenn der Prozess erst vorbei ist, werden sie alle tadellos dastehen.«
»Wir haben immer noch Mrs Gordon Cloades Auss a ge«, fuhr Poirot fort. »Schließlich ist anzunehmen, dass eine Frau ihren eigenen Mann erkennt, wenn sie ihn sieht.«
Er blinzelte zu dem ihn überragenden Inspektor auf.
»Wenn ein Millionenvermögen auf dem Spiel steht, lohnt sich’s vielleicht für eine Frau, ihren Mann nicht zu erkennen«, gab Spence zurück. »Und außerdem – wenn der Mann nicht Robert Underhay war, warum wurde er dann ermordet?«
»Das ist eben die große Frage«, murmelte Hercule Po i rot.
24
A ls Poirot am Abend dieses Tages in den »Hi r schen«, zurückkehrte, blies ein scharfer Ostwind. Fröstelnd betrat der Detektiv die – wie stets – verlassen
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