Der Todschlaeger
abzubrechen, schien sie aus dem
Schlafe hochzufahren und rief den
Arbeiterinnen zu: »Hört mal, ihr da! Glaubt ihr
etwa, die Wäsche bügelt sich von allein? – Das
sind mir Bummelanten! – Hopp! An die
Arbeit!«
Die Arbeiterinnen beeilten sich nicht, waren
ganz benommen von Trägheitsstarre, hatten
die Arme schlaff auf ihren Röcken und hielten
in einer Hand noch immer ihre leeren Gläser,
in denen ein wenig Kaffeesatz
zurückgeblieben war. Sie plauderten weiter.
»Die kleine Célestine war's«, sagte Clémence.
»Ich habe sie gekannt. Sie hatte den
Katzenhaarwahn ... Wissen Sie, überall sah sie
Katzenhaare, immerzu drehte sie die Zunge so,
weil sie glaubte, den Mund voller Katzenhaare
zu haben.«
»Ich«, meinte Frau Putois, »ich war mit einer
Frau befreundet, die einen Wurm hatte ... Oh,
Launen haben diese Tiere! – Er verdreht ihr
den Bauch, wenn sie ihm nicht Hühnchen gab.
Sie können sich ja denken, der Mann verdiente
sieben Francs, das ging an Leckerbissen für
den Wurm drauf ...«
»Die hätte ich sofort geheilt«, unterbrach
Mama Coupeau. »Mein Gott, ja, man schluckt
eine auf dem Rost gebratene Maus. Das
vergiftet den Wurm mit einem Schlag.«
Gervaise selber war wiederum in ein
glückliches Nichtstun hinübergeglitten. Aber
sie raffte sich auf, brachte sich auf die Beine.
So was! Einen ganzen Nachmittag mit
Faulenzen verbracht! Das machte den
Geldbeutel bestimmt nicht voll! Sie kehrte als
erste zu ihren Gardinen zurück; doch sie fand
sie mit einem Kaffeefleck beschmutzt und
mußte den Fleck, bevor sie wieder das
Bügeleisen zur Hand nahm, mit einem
feuchten Leinentuch herausreiben.
Die Arbeiterinnen rekelten sich vor der
Maschine, suchten verdrießlich nach ihren
Topflappen. Sobald sich Clémence bewegte,
bekam sie einen Hustenanfall, bei dem sich ihr
alles umdrehte; dann machte sie ihr
Männerhemd fertig, dessen Manschetten und
Kragen sie mit Nadeln feststeckte. Frau Putois
hatte sich wieder an ihren Unterrock gemacht.
»Na, auf Wiedersehen«, sagte Virginie. »Ich
war hinuntergegangen, um ein Viertel
Schweizer Käse zu holen. Poisson muß ja
glauben, daß ich unterwegs in der Kälte
erfroren bin.«
Aber als sie bereits drei Schritte auf dem
Bürgersteig getan hatte, öffnete sie wieder die
Tür, um hineinzurufen, sie sähe Augustine am
Ende der Straße mit Bengeln auf dem Eis
schlittern. Seit gut zwei Stunden war dieses
Luder fort. Rot und außer Atem kam sie
angerannt, ihren Korb im Arm, den
Haarknoten von einem Schneeball verkleistert.
Mit duckmäuserischer Miene ließ sie sich
ausschelten und erzählte, man könne wegen
des Glatteises nicht gehen. Irgendein Lümmel
mußte ihr wohl aus Scherz Eisstücke in die
Taschen gesteckt haben, denn nach einer
Viertelstunde begannen ihre Taschen den
Laden wie aus Trichtern zu berieseln.
Jetzt verliefen die Nachmittage alle so. Der
Laden war im Viertel der Zufluchtsort der
verfrorenen Leute. Die ganze Rue de la
Goutted'Or wußte, daß es dort warm war.
Unaufhörlich waren schwatzhafte Frauen da,
die sich vor der Maschine, die Röcke bis zu
den Knien hochgeschürzt, schnell ein bißchen
aufwärmten. Gervaise setzte ihren Stolz in
diese angenehme Wärme, und sie lockte die
Leute herbei, sie empfing Gäste, wie die
Lorilleux und die Boches boshaft sagten. In
Wirklichkeit blieb sie zuvorkommend und
hilfsbereit, so sehr, daß sie die Armen
eintreten ließ, wenn sie sie draußen bibbern
sah. Sie schloß vor allem Freundschaft mit
einem ehemaligen Maler, einem Greis von
siebzig Jahren, der im Hause einen
Hängeboden bewohnte, auf dem er vor Hunger
und Kälte geradezu verreckte; er hatte seine
drei Söhne auf der Krim53 verloren und lebte
seit den zwei Jahren, da er keinen Pinsel mehr
halten konnte, von der Hand in den Mund.
Sobald Gervaise Vater Bru erblickte, der im
Schnee herumstapfte, um sich zu erwärmen,
rief sie ihn, verschaffte sie ihm einen Platz am
Ofen; oft nötigte sie ihn sogar, ein Stück Brot
mit Käse zu essen. Mit gebeugtem Rumpf,
dem weißen Bart, dem wie ein alter Apfel
runzligen Gesicht, verweilte Vater Bru
stundenlang, ohne irgend etwas zu sagen, und
horchte auf das Knistern des Kokses.
Vielleicht beschwor er seine fünfzig
Arbeitsjahre auf den Leitern wieder herauf,
das mit Streichen von Türen und Weißen von
Decken an allen vier Enden von Paris
verbrachte halbe Jahrhundert.
»Na, Vater Bru«, fragte ihn manchmal die
Wäscherin, »an was
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