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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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abzubrechen, schien sie aus dem
    Schlafe hochzufahren und rief den
    Arbeiterinnen zu: »Hört mal, ihr da! Glaubt ihr
    etwa, die Wäsche bügelt sich von allein? – Das
    sind mir Bummelanten! – Hopp! An die
    Arbeit!«
    Die Arbeiterinnen beeilten sich nicht, waren
    ganz benommen von Trägheitsstarre, hatten
    die Arme schlaff auf ihren Röcken und hielten
    in einer Hand noch immer ihre leeren Gläser,
    in denen ein wenig Kaffeesatz
    zurückgeblieben war. Sie plauderten weiter.
    »Die kleine Célestine war's«, sagte Clémence.
    »Ich habe sie gekannt. Sie hatte den
    Katzenhaarwahn ... Wissen Sie, überall sah sie
    Katzenhaare, immerzu drehte sie die Zunge so,
    weil sie glaubte, den Mund voller Katzenhaare
    zu haben.«
    »Ich«, meinte Frau Putois, »ich war mit einer
    Frau befreundet, die einen Wurm hatte ... Oh,
    Launen haben diese Tiere! – Er verdreht ihr
    den Bauch, wenn sie ihm nicht Hühnchen gab.
    Sie können sich ja denken, der Mann verdiente
    sieben Francs, das ging an Leckerbissen für
    den Wurm drauf ...«
    »Die hätte ich sofort geheilt«, unterbrach
    Mama Coupeau. »Mein Gott, ja, man schluckt
    eine auf dem Rost gebratene Maus. Das
    vergiftet den Wurm mit einem Schlag.«
    Gervaise selber war wiederum in ein
    glückliches Nichtstun hinübergeglitten. Aber
    sie raffte sich auf, brachte sich auf die Beine.
    So was! Einen ganzen Nachmittag mit
    Faulenzen verbracht! Das machte den
    Geldbeutel bestimmt nicht voll! Sie kehrte als
    erste zu ihren Gardinen zurück; doch sie fand
    sie mit einem Kaffeefleck beschmutzt und
    mußte den Fleck, bevor sie wieder das
    Bügeleisen zur Hand nahm, mit einem
    feuchten Leinentuch herausreiben.
    Die Arbeiterinnen rekelten sich vor der
    Maschine, suchten verdrießlich nach ihren
    Topflappen. Sobald sich Clémence bewegte,
    bekam sie einen Hustenanfall, bei dem sich ihr
    alles umdrehte; dann machte sie ihr
    Männerhemd fertig, dessen Manschetten und
    Kragen sie mit Nadeln feststeckte. Frau Putois
    hatte sich wieder an ihren Unterrock gemacht.
    »Na, auf Wiedersehen«, sagte Virginie. »Ich
    war hinuntergegangen, um ein Viertel
    Schweizer Käse zu holen. Poisson muß ja
    glauben, daß ich unterwegs in der Kälte
    erfroren bin.«
    Aber als sie bereits drei Schritte auf dem
    Bürgersteig getan hatte, öffnete sie wieder die
    Tür, um hineinzurufen, sie sähe Augustine am
    Ende der Straße mit Bengeln auf dem Eis
    schlittern. Seit gut zwei Stunden war dieses
    Luder fort. Rot und außer Atem kam sie
    angerannt, ihren Korb im Arm, den
    Haarknoten von einem Schneeball verkleistert.
    Mit duckmäuserischer Miene ließ sie sich
    ausschelten und erzählte, man könne wegen
    des Glatteises nicht gehen. Irgendein Lümmel
    mußte ihr wohl aus Scherz Eisstücke in die
    Taschen gesteckt haben, denn nach einer
    Viertelstunde begannen ihre Taschen den
    Laden wie aus Trichtern zu berieseln.
    Jetzt verliefen die Nachmittage alle so. Der
    Laden war im Viertel der Zufluchtsort der
    verfrorenen Leute. Die ganze Rue de la
    Goutted'Or wußte, daß es dort warm war.
    Unaufhörlich waren schwatzhafte Frauen da,
    die sich vor der Maschine, die Röcke bis zu
    den Knien hochgeschürzt, schnell ein bißchen
    aufwärmten. Gervaise setzte ihren Stolz in
    diese angenehme Wärme, und sie lockte die
    Leute herbei, sie empfing Gäste, wie die
    Lorilleux und die Boches boshaft sagten. In
    Wirklichkeit blieb sie zuvorkommend und
    hilfsbereit, so sehr, daß sie die Armen
    eintreten ließ, wenn sie sie draußen bibbern
    sah. Sie schloß vor allem Freundschaft mit
    einem ehemaligen Maler, einem Greis von
    siebzig Jahren, der im Hause einen
    Hängeboden bewohnte, auf dem er vor Hunger
    und Kälte geradezu verreckte; er hatte seine
    drei Söhne auf der Krim53 verloren und lebte
    seit den zwei Jahren, da er keinen Pinsel mehr
    halten konnte, von der Hand in den Mund.
    Sobald Gervaise Vater Bru erblickte, der im
    Schnee herumstapfte, um sich zu erwärmen,
    rief sie ihn, verschaffte sie ihm einen Platz am
    Ofen; oft nötigte sie ihn sogar, ein Stück Brot
    mit Käse zu essen. Mit gebeugtem Rumpf,
    dem weißen Bart, dem wie ein alter Apfel
    runzligen Gesicht, verweilte Vater Bru
    stundenlang, ohne irgend etwas zu sagen, und
    horchte auf das Knistern des Kokses.
    Vielleicht beschwor er seine fünfzig
    Arbeitsjahre auf den Leitern wieder herauf,
    das mit Streichen von Türen und Weißen von
    Decken an allen vier Enden von Paris
    verbrachte halbe Jahrhundert.
    »Na, Vater Bru«, fragte ihn manchmal die
    Wäscherin, »an was

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