Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
denken Sie?«
    »An nichts, an alles mögliche«, antwortete er
    mit stumpfsinniger Miene.
    Die Arbeiterinnen scherzten und erzählten, er
    habe Liebeskummer.
    Aber ohne sie zu hören, sank er wieder in sein
    Schweigen, in sein düsteres und
    nachdenkliches Gebaren zurück.
    Von dieser Zeit an sprach Virginie wieder oft
    zu Gervaise von Lantier. Sie schien sie mit
    Vorliebe mit ihrem ehemaligen Liebhaber zu
    beschäftigen, um des Vergnügens willen, sie
    dadurch in Verlegenheit zu bringen, indem sie
    Vermutungen anstellte. Eines Tages sagte sie,
    sie habe ihn getroffen; und als die Wäscherin
    stumm blieb, fügte sie nichts weiter hinzu, ließ
    dann am nächsten Tag lediglich merken, daß
    er mit ihr ausführlich und mit viel Zärtlichkeit
    über sie gesprochen habe. Gervaise war von
    diesen mit leiser Stimme in einer Ecke des
    Ladens geflüsterten Gesprächen sehr verwirrt.
    Lantiers Name verursachte ihr stets ein
    Brennen in der Herzgrube, als habe dieser
    Mann dort unter der Haut etwas von sich
    zurückgelassen. Gewiß, sie hielt sich für sehr
    rechtschaffen, sie wollte als ehrbare Frau
    leben, weil Ehrbarkeit die Hälfte des Glückes
    ausmacht. Daher dachte sie bei dieser
    Angelegenheit auch nicht an Coupeau, weil sie
    sich ihrem Mann gegenüber nichts
    vorzuwerfen hatte, nicht einmal in Gedanken.
    Sie dachte an den Schmied mit ganz zagem
    und krankem Herzen. Ihr schien, als lasse die
    in ihr zurückkehrende Erinnerung an Lantier,
    dieses langsame Besitzergreifen, das wieder
    über sie kam, sie untreu werden an Goujet, an
    ihrer gegenseitigen uneingestandenen Liebe
    voller Freundschaftssüßigkeit. Sie verlebte
    traurige Tage, wenn sie sich ihrem guten
    Freund gegenüber schuldig glaubte. Außerhalb
    ihrer Ehe hätte sie nur für ihn Zuneigung
    empfinden mögen. Das war für sie etwas ganz
    Hohes, erhaben über alle Schmutzigkeiten,
    nach deren Feuerschein auf ihrem Gesicht
    Virginie ausspähte.
    Als der Frühling gekommen war, suchte
    Gervaise bei Goujet Zuflucht. Sie konnte nicht
    mehr auf einem Stuhl sitzen und über irgend
    etwas nachsinnen, ohne sogleich an ihren
    ersten Liebhaber zu denken; sie sah ihn, wie er
    Adèle verließ, seine Wäsche wieder auf den
    Boden des Koffers legte, der einst ihnen
    beiden gehört hatte, mit dem Koffer auf dem
    Wagen zu ihr zurückkehrte. An den Tagen, an
    denen sie ausging, überkamen sie mit
    einemmal dumme Angstzustände auf der
    Straße; sie glaubte Lantiers Schritt hinter sich
    zu hören, zitternd wagte sie nicht, sich
    umzudrehen, und bildete sich ein, zu spüren,
    wie seine Hände sie um die Taille faßten.
    Bestimmt mußte er ihr nachspionieren; eines
    Nachmittags würde er ihr zufällig über den
    Weg laufen; und diese Vorstellung trieb ihr
    kalten Schweiß heraus, weil er sie sicher ins
    Ohr küssen würde, wie er es früher aus
    Neckerei zu tun pflegte. Dieser Kuß, der
    versetzte sie in Schrecken: er machte sie im
    voraus taub und erfüllte sie mit einem Sausen,
    in dem sie nur noch den Lärm ihres in heftigen
    Schlägen klopfenden Herzens unterschied.
    Sobald diese Ängste sie überkamen, war die
    Schmiede dann ihr einziger Zufluchtsort; dort
    wurde sie wieder ruhig und lächelte unter dem
    Schutz Goujets, dessen widerhallender
    Hammer ihre bösen Träume verscheuchte.
    Welch glückliche Jahreszeit! Die Wäscherin
    kümmerte sich besonders sorgsam um ihre
    Kundschaft aus der Rue des PortesBlanches;
    sie brachte ihr die Wäsche immer selbst
    zurück, denn dieser Gang jeden Freitag war
    ein gefundener Vorwand, um durch die Rue
    Marcadet zu gehen und die Schmiede zu
    betreten. Sobald sie um die Ecke der Straße
    bog, fühlte sie sich leicht, heiter, als mache sie
    eine Landpartie inmitten dieser unbebauten,
    von grauen Fabriken gesäumten Grundstücke;
    der kohlengeschwärzte Fahrdamm, die
    Dampfwolken auf den Dächern machten ihr
    ebensolchen Spaß wie ein tief zwischen
    großen Baumgruppen vordringender
    bemooster Pfad in einem Gehölz am
    Stadtrand; und sie liebte den bleifahlen, mit
    den hohen Fabrikschornsteinen gestreiften
    Horizont, den MontmartreHügel, der den
    Himmel mit seinen kreidigen, von den
    regelmäßigen Löchern ihrer Fenster
    durchbrochenen Häusern versperrte. Dann
    verlangsamte sie, wenn sie ans Ziel gelangte,
    ihren Schritt, sprang über die Wasserpfützen
    und fand Vergnügen daran, die öden und
    wirren Winkel des Abbruchplatzes zu
    durchstreifen. Im Hintergrund leuchtete die
    Schmiede sogar am hellen Mittag. Ihr Herz
    hüpfte beim Tanz

Weitere Kostenlose Bücher