Der Todschlaeger
denken Sie?«
»An nichts, an alles mögliche«, antwortete er
mit stumpfsinniger Miene.
Die Arbeiterinnen scherzten und erzählten, er
habe Liebeskummer.
Aber ohne sie zu hören, sank er wieder in sein
Schweigen, in sein düsteres und
nachdenkliches Gebaren zurück.
Von dieser Zeit an sprach Virginie wieder oft
zu Gervaise von Lantier. Sie schien sie mit
Vorliebe mit ihrem ehemaligen Liebhaber zu
beschäftigen, um des Vergnügens willen, sie
dadurch in Verlegenheit zu bringen, indem sie
Vermutungen anstellte. Eines Tages sagte sie,
sie habe ihn getroffen; und als die Wäscherin
stumm blieb, fügte sie nichts weiter hinzu, ließ
dann am nächsten Tag lediglich merken, daß
er mit ihr ausführlich und mit viel Zärtlichkeit
über sie gesprochen habe. Gervaise war von
diesen mit leiser Stimme in einer Ecke des
Ladens geflüsterten Gesprächen sehr verwirrt.
Lantiers Name verursachte ihr stets ein
Brennen in der Herzgrube, als habe dieser
Mann dort unter der Haut etwas von sich
zurückgelassen. Gewiß, sie hielt sich für sehr
rechtschaffen, sie wollte als ehrbare Frau
leben, weil Ehrbarkeit die Hälfte des Glückes
ausmacht. Daher dachte sie bei dieser
Angelegenheit auch nicht an Coupeau, weil sie
sich ihrem Mann gegenüber nichts
vorzuwerfen hatte, nicht einmal in Gedanken.
Sie dachte an den Schmied mit ganz zagem
und krankem Herzen. Ihr schien, als lasse die
in ihr zurückkehrende Erinnerung an Lantier,
dieses langsame Besitzergreifen, das wieder
über sie kam, sie untreu werden an Goujet, an
ihrer gegenseitigen uneingestandenen Liebe
voller Freundschaftssüßigkeit. Sie verlebte
traurige Tage, wenn sie sich ihrem guten
Freund gegenüber schuldig glaubte. Außerhalb
ihrer Ehe hätte sie nur für ihn Zuneigung
empfinden mögen. Das war für sie etwas ganz
Hohes, erhaben über alle Schmutzigkeiten,
nach deren Feuerschein auf ihrem Gesicht
Virginie ausspähte.
Als der Frühling gekommen war, suchte
Gervaise bei Goujet Zuflucht. Sie konnte nicht
mehr auf einem Stuhl sitzen und über irgend
etwas nachsinnen, ohne sogleich an ihren
ersten Liebhaber zu denken; sie sah ihn, wie er
Adèle verließ, seine Wäsche wieder auf den
Boden des Koffers legte, der einst ihnen
beiden gehört hatte, mit dem Koffer auf dem
Wagen zu ihr zurückkehrte. An den Tagen, an
denen sie ausging, überkamen sie mit
einemmal dumme Angstzustände auf der
Straße; sie glaubte Lantiers Schritt hinter sich
zu hören, zitternd wagte sie nicht, sich
umzudrehen, und bildete sich ein, zu spüren,
wie seine Hände sie um die Taille faßten.
Bestimmt mußte er ihr nachspionieren; eines
Nachmittags würde er ihr zufällig über den
Weg laufen; und diese Vorstellung trieb ihr
kalten Schweiß heraus, weil er sie sicher ins
Ohr küssen würde, wie er es früher aus
Neckerei zu tun pflegte. Dieser Kuß, der
versetzte sie in Schrecken: er machte sie im
voraus taub und erfüllte sie mit einem Sausen,
in dem sie nur noch den Lärm ihres in heftigen
Schlägen klopfenden Herzens unterschied.
Sobald diese Ängste sie überkamen, war die
Schmiede dann ihr einziger Zufluchtsort; dort
wurde sie wieder ruhig und lächelte unter dem
Schutz Goujets, dessen widerhallender
Hammer ihre bösen Träume verscheuchte.
Welch glückliche Jahreszeit! Die Wäscherin
kümmerte sich besonders sorgsam um ihre
Kundschaft aus der Rue des PortesBlanches;
sie brachte ihr die Wäsche immer selbst
zurück, denn dieser Gang jeden Freitag war
ein gefundener Vorwand, um durch die Rue
Marcadet zu gehen und die Schmiede zu
betreten. Sobald sie um die Ecke der Straße
bog, fühlte sie sich leicht, heiter, als mache sie
eine Landpartie inmitten dieser unbebauten,
von grauen Fabriken gesäumten Grundstücke;
der kohlengeschwärzte Fahrdamm, die
Dampfwolken auf den Dächern machten ihr
ebensolchen Spaß wie ein tief zwischen
großen Baumgruppen vordringender
bemooster Pfad in einem Gehölz am
Stadtrand; und sie liebte den bleifahlen, mit
den hohen Fabrikschornsteinen gestreiften
Horizont, den MontmartreHügel, der den
Himmel mit seinen kreidigen, von den
regelmäßigen Löchern ihrer Fenster
durchbrochenen Häusern versperrte. Dann
verlangsamte sie, wenn sie ans Ziel gelangte,
ihren Schritt, sprang über die Wasserpfützen
und fand Vergnügen daran, die öden und
wirren Winkel des Abbruchplatzes zu
durchstreifen. Im Hintergrund leuchtete die
Schmiede sogar am hellen Mittag. Ihr Herz
hüpfte beim Tanz
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