Der Todschlaeger
ein hartes Ei essen und sich
Spinatblätter auf die Lenden legen. Die vier
anderen Frauen blieben ernst. Aber Augustine,
diese Schielliese, deren Heiterkeitsausbrüche
immer ganz allein herausfuhren, ohne daß man
jemals wußte warum, stieß das Glucksen einer
Henne aus, das ihr eigentümliche Lachen. Man
hatte sie vergessen. Gervaise hob den
Unterrock hoch, erblickte sie, wie sie sich auf
dem Laken wie ein Ferkel mit den Beinen in
der Luft herumwälzte. Sie zog sie von da
unten hoch und brachte sie mit einer Schelle
auf die Beine. Was hatte sie denn zu lachen,
diese Pute? Sollte sie etwa zuhören, wenn sich
Erwachsene unterhielten? Zunächst werde sie
gleich mal einer Freundin von Madame Lerat
in Les Batignolles die Wäsche zurückbringen.
Noch während des Sprechens schob ihr die
Meisterin den Korb unter den Arm und
drängte sie zur Tür. Mürrisch und schluchzend
entfernte sich die Schielliese und schlurfte mit
den Füßen durch den Schnee.
Unterdessen erörterten Mama Coupeau, Frau
Putois und Clémence die Wirksamkeit von
hartgekochten Eiern und Spinatblättern. Da
sagte Virginie, die, ihr Glas Kaffee in der
Hand, träumerisch dasaß, ganz leise:
»Mein Gott, man haut sich, man küßt sich, das
geht immer, wenn man ein gutes Herz hat ...«
Und sich zu Gervaise hinüberbeugend, meinte
sie mit einem Lächeln: »Nein, ich bin Ihnen
bestimmt nicht böse ... Die Geschichte aus
dem Waschhaus, erinnern Sie sich?«
Die Wäscherin war ganz verlegen. Das hatte
sie befürchtet. Nun ahnte sie, daß gleich von
Lantier und Adèle die Rede sein würde.
Die Maschine bullerte, verdoppelte Hitze
strahlte von dem rotglühenden Rohr aus. In
dieser Schläfrigkeit schauten die
Arbeiterinnen, die sich mit ihrem Kaffee Zeit
ließen, um sich so spät wie möglich wieder an
die Arbeit zu begeben, mit naschhaftem und
schlaffem Gesichtsausdruck in den Schnee auf
der Straße. Sie waren bei vertraulichen
Geständnissen angelangt; sie sagten, was sie
tun würden, wenn sie zehntausend Francs
Jahreszinsen hätten; gar nichts würden sie tun,
ganze Nachmittage würden sie so sitzen
bleiben, sich dabei wärmen und von weitem
auf die Arbeit spucken.
Virginie war so nahe an Gervaise
herangerückt, daß sie von den anderen nicht
verstanden werden konnte. Und Gervaise
fühlte sich ganz schlapp, zweifellos wegen der
allzu großen Hitze, so matt und so schlapp,
daß sie nicht die Kraft fand, dem Gespräch
eine andere Richtung zu geben; das Herz
schwer von einer Erregung, die sie genoß,
ohne es sich einzugestehen, wartete sie sogar
auf die Worte der großen Brünetten.
»Ich tue Ihnen doch nicht etwa weh?« begann
die Schneiderin wieder. »Zwanzigmal lag mir
das schon auf der Zunge. Da wir nun
schließlich mal dabei sind ... Bloß um zu
plaudern, nicht wahr? – Nein, bestimmt, ich
bin Ihnen nicht böse wegen dem, was
vorgefallen ist. Ehrenwort! Ich habe deswegen
keinerlei Groll gegen Sie zurückbehalten.« Sie
rührte den Kaffeegrund in ihrem Glase um, um
den ganzen Zucker zu bekommen, dann trank
sie mit leisem Schmatzen der Lippen drei
Tropfen.
Gervaise, der die Kehle zusammengeschnürt
war, wartete noch immer; und sie fragte sich,
ob Virginie ihr die Arschhiebe wirklich soweit
verziehen habe, denn sie sah, wie in ihren
schwarzen Augen gelbe Funken entbrannten.
Diese lange Teufelin mußte ihren Groll in die
Tasche gesteckt und mit ihrem Taschentuch
zugedeckt haben.
»Sie hatten ja eine Entschuldigung«, fuhr sie
fort. »Man hatte Ihnen gerade eine
Dreckigkeit, eine Abscheulichkeit angetan ...
Oh, ich bin gerecht, das können Sie glauben!
Ich, ich hätte ein Messer genommen.« Sie
trank noch drei Tropfen und schmatzte dabei
am Rande des Glases. Und sie redete nun nicht
mehr mit schleppender Stimme, sondern
setzte, ohne innezuhalten, rasch hinzu: »Das
hat denen auch kein Glück gebracht, du lieber
Gott, überhaupt kein Glück! – Sie waren ans
Ende der Welt gezogen, in die Gegend von La
Glacière, in eine dreckige Straße, wo der
Schlamm immer bis zu den Knien reicht. Ich,
ich bin zwei Tage danach eines Morgens
losgegangen, um mit ihnen Mittag zu essen;
eine gehörige Fahrt mit dem Pferdeomnibus,
das kann ich Ihnen versichern! Na schön,
meine Liebe, ich habe sie angetroffen, wie sie
dabei waren, sich bereits herumzukampeln.
Wirklich, als ich hereinkam, verabreichten sie
sich Maulschellen. Das sind Liebesleute, was!
– Sie wissen ja, Adèle ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher