Der Todschlaeger
Gesellschaft
dahingeschmolzen zu sein, einer verschwand
nach dem anderen, alle begleiteten einander,
ertranken in der Tiefe des schwarzen Viertels,
mit einem letzten Lärmen, einem wütenden
Streit der Lorilleux und einem hartnäckigen
und schauerlichen »Trulala, trulala« von Vater
Bru. Gervaise glaubte freilich, Goujet habe
beim Aufbruch zu schluchzen angefangen;
Coupeau sang immerzu; was Lantier anging,
so mußte er wohl bis zum Schluß geblieben
sein, einen Augenblick lang spürte sie sogar
noch einen Hauch in ihrem Haar, aber sie
konnte nicht sagen, ob dieser Hauch von
Lantier oder von der warmen Nacht stammte.
Da sich Frau Lerat jedoch weigerte, zu dieser
Stunde nach Les Batignolles zurückzukehren,
nahm man eine Matratze aus dem Bett, die
man in einer Ecke des Ladens für sie
ausbreitete, nachdem man den Tisch
weggerückt hatte. Dort schlief sie inmitten der
Krümel des Abendessens. Und die ganze
Nacht über knabberte während des erdrückten
Schlafs der Coupeaus, die ihren Festrausch
ausschliefen, die Katze einer Nachbarin, die
sich ein offenes Fenster zunutze gemacht
hatte, die Knochen der Gans ab und beerdigte
das Tier vollends mit dem leisen Geräusch
ihrer feinen Zähne.
Kapitel VIII
Am nächsten Sonnabend brachte Coupeau, der
nicht zum Abendbrot heimgekommen war,
gegen zehn Uhr Lantier mit. Sie hatten bei
Thomas auf dem Montmartre zusammen
Hammelfüße gegessen.
»Mußt nicht schimpfen, Alte«, sagte der
Bauklempner. »Wir sind vernünftig, wie du
siehst ... Oh, wenn ich mit dem zusammen bin,
besteht keine Gefahr; er bringt einen gerade
auf den rechten Weg.« Und er erzählte, wie sie
sich in der Rue Rochechouart getroffen hatten.
Nach dem Abendessen habe Lantier es
abgelehnt, im Café »Boule Noire«60 etwas zu
trinken, und dabei gesagt, wenn man mit einer
netten und ehrbaren Frau verheiratet sei, dürfe
man nicht in allen Tanzkneipen herumlungern.
Gervaise hörte mit leisem Lächeln zu. Nein,
sie dachte bestimmt nicht daran, zu schimpfen;
sie fühlte sich zu befangen. Seit der Feier war
sie durchaus darauf gefaßt, ihren ehemaligen
Geliebten über kurz oder lang wiederzusehen;
aber zu einer solchen Uhrzeit, in dem
Augenblick, da sie zu Bett gehen wollte, hatte
sie das jähe Eintreffen der beiden Männer
überrascht; und mit zitternden Händen steckte
sie ihren in den Nacken herabgerutschten
Haarknoten wieder auf.
»Weißt du was«, fuhr Coupeau fort, »da er nun
mal so zartfühlend war, ein Glas außer Hause
abzuschlagen, wirst du das Schnäpschen für
uns ausgeben ... Na, das bist du uns wohl
schuldig!«
Die Arbeiterinnen waren längst gegangen.
Mama Coupeau und Nana hatten sich eben
schlafen gelegt. Da ließ Gervaise, die bereits
einen Fensterladen in der Hand hielt, als die
beiden erschienen waren, die Ladentür auf und
stellte Gläser und den Rest einer Flasche
Kognak auf eine Ecke des Werktisches.
Lantier blieb stehen und vermied es,
unmittelbar das Wort an sie zu richten. Doch
als sie ihm einschenkte, rief er:
»Nur ein Tröpfchen, Madame, wenn ich bitten
darf.«
Coupeau sah sie beide an, drückte sich ganz
unverblümt aus. Sie wollten sich doch nicht
etwa wie die dummen Gänse anstellen?
Vergangenheit sei Vergangenheit, nicht wahr?
Wenn man nach fast neun oder zehn Jahren
noch Groll zurückbehalte, dann könnte man
am Ende ja mit niemand mehr verkehren.
Nein, nein, er habe das Herz auf der Zunge!
Zuerst mal wisse er ja, mit wem er es zu tun
habe, mit einer rechtschaffenen Frau und mit
einem rechtschaffenen Mann, mit zwei
Freunden, was! Er sei unbesorgt, er kenne die
Ehrbarkeit beider.
»Oh, sicher ... sicher ...«, sagte Gervaise
immer wieder mit niedergeschlagenen Augen,
ohne zu verstehen, was sie sagte.
»Eine Schwester ist sie nun, nichts als eine
Schwester!« murmelte Lantier seinerseits.
»Gebt euch die Hand, Himmelsakrament!« rief
Coupeau. »Und auf die Spießbürger pfeifen
wir! Wenn man was im Köpfchen hat, wißt
ihr, ist man feiner als die Millionäre. Ich, ich
stelle die Freundschaft über alles, denn
Freundschaft ist Freundschaft, und es gibt
nichts, das darüber steht.«
Er versetzte sich heftige Faustschläge in den
Magen, sah so erregt aus, daß sie ihn
beruhigen mußten. Schweigend stießen alle
drei an und tranken ihr Schnäpschen. Da
konnte Gervaise Lantier bequem betrachten;
denn am Abend des Namenstages hatte sie ihn
in einem Nebel gesehen. Er war dick
geworden, fett
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