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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Gesellschaft
    dahingeschmolzen zu sein, einer verschwand
    nach dem anderen, alle begleiteten einander,
    ertranken in der Tiefe des schwarzen Viertels,
    mit einem letzten Lärmen, einem wütenden
    Streit der Lorilleux und einem hartnäckigen
    und schauerlichen »Trulala, trulala« von Vater
    Bru. Gervaise glaubte freilich, Goujet habe
    beim Aufbruch zu schluchzen angefangen;
    Coupeau sang immerzu; was Lantier anging,
    so mußte er wohl bis zum Schluß geblieben
    sein, einen Augenblick lang spürte sie sogar
    noch einen Hauch in ihrem Haar, aber sie
    konnte nicht sagen, ob dieser Hauch von
    Lantier oder von der warmen Nacht stammte.
    Da sich Frau Lerat jedoch weigerte, zu dieser
    Stunde nach Les Batignolles zurückzukehren,
    nahm man eine Matratze aus dem Bett, die
    man in einer Ecke des Ladens für sie
    ausbreitete, nachdem man den Tisch
    weggerückt hatte. Dort schlief sie inmitten der
    Krümel des Abendessens. Und die ganze
    Nacht über knabberte während des erdrückten
    Schlafs der Coupeaus, die ihren Festrausch
    ausschliefen, die Katze einer Nachbarin, die
    sich ein offenes Fenster zunutze gemacht
    hatte, die Knochen der Gans ab und beerdigte
    das Tier vollends mit dem leisen Geräusch
    ihrer feinen Zähne.

    Kapitel VIII
    Am nächsten Sonnabend brachte Coupeau, der
    nicht zum Abendbrot heimgekommen war,
    gegen zehn Uhr Lantier mit. Sie hatten bei
    Thomas auf dem Montmartre zusammen
    Hammelfüße gegessen.
    »Mußt nicht schimpfen, Alte«, sagte der
    Bauklempner. »Wir sind vernünftig, wie du
    siehst ... Oh, wenn ich mit dem zusammen bin,
    besteht keine Gefahr; er bringt einen gerade
    auf den rechten Weg.« Und er erzählte, wie sie
    sich in der Rue Rochechouart getroffen hatten.
    Nach dem Abendessen habe Lantier es
    abgelehnt, im Café »Boule Noire«60 etwas zu
    trinken, und dabei gesagt, wenn man mit einer
    netten und ehrbaren Frau verheiratet sei, dürfe
    man nicht in allen Tanzkneipen herumlungern.
    Gervaise hörte mit leisem Lächeln zu. Nein,
    sie dachte bestimmt nicht daran, zu schimpfen;
    sie fühlte sich zu befangen. Seit der Feier war
    sie durchaus darauf gefaßt, ihren ehemaligen
    Geliebten über kurz oder lang wiederzusehen;
    aber zu einer solchen Uhrzeit, in dem
    Augenblick, da sie zu Bett gehen wollte, hatte
    sie das jähe Eintreffen der beiden Männer
    überrascht; und mit zitternden Händen steckte
    sie ihren in den Nacken herabgerutschten
    Haarknoten wieder auf.
    »Weißt du was«, fuhr Coupeau fort, »da er nun
    mal so zartfühlend war, ein Glas außer Hause
    abzuschlagen, wirst du das Schnäpschen für
    uns ausgeben ... Na, das bist du uns wohl
    schuldig!«
    Die Arbeiterinnen waren längst gegangen.
    Mama Coupeau und Nana hatten sich eben
    schlafen gelegt. Da ließ Gervaise, die bereits
    einen Fensterladen in der Hand hielt, als die
    beiden erschienen waren, die Ladentür auf und
    stellte Gläser und den Rest einer Flasche
    Kognak auf eine Ecke des Werktisches.
    Lantier blieb stehen und vermied es,
    unmittelbar das Wort an sie zu richten. Doch
    als sie ihm einschenkte, rief er:
    »Nur ein Tröpfchen, Madame, wenn ich bitten
    darf.«
    Coupeau sah sie beide an, drückte sich ganz
    unverblümt aus. Sie wollten sich doch nicht
    etwa wie die dummen Gänse anstellen?
    Vergangenheit sei Vergangenheit, nicht wahr?
    Wenn man nach fast neun oder zehn Jahren
    noch Groll zurückbehalte, dann könnte man
    am Ende ja mit niemand mehr verkehren.
    Nein, nein, er habe das Herz auf der Zunge!
    Zuerst mal wisse er ja, mit wem er es zu tun
    habe, mit einer rechtschaffenen Frau und mit
    einem rechtschaffenen Mann, mit zwei
    Freunden, was! Er sei unbesorgt, er kenne die
    Ehrbarkeit beider.
    »Oh, sicher ... sicher ...«, sagte Gervaise
    immer wieder mit niedergeschlagenen Augen,
    ohne zu verstehen, was sie sagte.
    »Eine Schwester ist sie nun, nichts als eine
    Schwester!« murmelte Lantier seinerseits.
    »Gebt euch die Hand, Himmelsakrament!« rief
    Coupeau. »Und auf die Spießbürger pfeifen
    wir! Wenn man was im Köpfchen hat, wißt
    ihr, ist man feiner als die Millionäre. Ich, ich
    stelle die Freundschaft über alles, denn
    Freundschaft ist Freundschaft, und es gibt
    nichts, das darüber steht.«
    Er versetzte sich heftige Faustschläge in den
    Magen, sah so erregt aus, daß sie ihn
    beruhigen mußten. Schweigend stießen alle
    drei an und tranken ihr Schnäpschen. Da
    konnte Gervaise Lantier bequem betrachten;
    denn am Abend des Namenstages hatte sie ihn
    in einem Nebel gesehen. Er war dick
    geworden, fett

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