Der Todschlaeger
und rund, die Beine und Arme
waren infolge seiner kleinen Statur plump.
Doch sein Gesicht hatte unter der
Aufgedunsenheit seines nichtstuerischen
Lebens die hübschen Züge bewahrt; und da er
seinen schmalen Schnurrbart noch immer sehr
pflegte, hätte man ihn genau auf sein Alter, auf
fünfunddreißig Jahre, geschätzt. An diesem
Tage trug er eine graue Hose und einen
dunkelblauen Überzieher wie ein feiner Herr,
dazu einen runden Hut; er hatte sogar eine Uhr
und eine silberne Kette, an der ein Ring hing,
ein Andenken.
»Ich gehe«, sagte er. »Ich wohne am Ende der
Welt.«
Er war bereits auf dem Bürgersteig, als ihn der
Bauklempner zurückrief, um ihm das
Versprechen abzunehmen, nicht mehr an der
Tür vorbeizugehen, ohne ihnen schnell mal
guten Tag zu sagen.
Inzwischen kam Gervaise, die soeben sacht
verschwunden war, wieder herein und schob
Etienne vor sich her, der in Hemdsärmeln war
und schon ein verschlafenes Gesicht hatte. Das
Kind lächelte, rieb sich die Augen. Aber als es
Lantier erblickte, blieb es zitternd und
verlegen stehen und ließ unruhige Blicke zu
seiner Mutter und zu Coupeau hingleiten.
»Erkennst du diesen Herrn nicht?« fragte
Coupeau.
Das Kind senkte den Kopf, ohne zu antworten.
Dann nickte es leicht, um zu sagen, daß es den
Herrn erkenne.
»Na, stell dich nicht so dumm an, gib ihm
einen Kuß.«
Ernst und ruhig wartete Lantier. Als sich
Etienne entschloß, näher zu kommen, beugte
er sich herab, hielt beide Wangen hin und
drückte dann selber dem Bengel einen
schallenden Kuß auf die Stirn. Da wagte dieser
seinen Vater anzusehen. Aber mit einemmal
brach er in Schluchzen aus, er entfloh wie ein
Verrückter, halbnackt, ausgescholten von
Coupeau, der ihn als menschenscheu
bezeichnete.
»Das ist die Aufregung«, sagte Gervaise, die
selber blaß und erschüttert war.
»Oh, gewöhnlich ist er sehr sanft, sehr nett«,
erklärte Coupeau. »Ich habe ihn schneidig
erzogen, Sie werden ja sehen ... Er wird sich
an Sie gewöhnen. Er muß die Leute
kennenlernen ... Und wenn es schließlich auch
nur des Kleinen wegen gewesen wäre, man
konnte ja nicht immer miteinander verfeindet
bleiben, nicht wahr? Seinetwegen hätten wir
das schon längst tun sollen, denn lieber würde
ich mir den Kopf abhacken lassen als einen
Vater daran hindern, sein Kind zu sehen.«
Daraufhin sprach er davon, die Flasche
Kognak auszutrinken.
Alle drei stießen erneut an.
Lantier wunderte sich nicht, er besaß eine
schöne Gemütsruhe. Bevor er ging, wollte er,
um die Einladungen des Bauklempners zu
vergelten, unbedingt mit ihm den Laden
schließen. Dann klopfte er der Reinlichkeit
halber seine Hände ab und wünschte dem
Ehepaar eine gute Nacht.
»Schlafen Sie gut. Ich will sehen, daß ich den
Omnibus erwische ... Ich verspreche Ihnen,
bald wiederzukommen.«
Von diesem Abend an zeigte sich Lantier oft
in der Rue de la Goutted'Or. Er erschien, wenn
der Bauklempner da war, erkundigte sich
gleich von der Tür aus nach seinem Befinden
und tat so, als käme er einzig und allein
seinetwegen herein. Dicht am Schaufenster
sitzend, stets im Überzieher, rasiert und
gekämmt, plauderte er dann höflich mit den
Manieren eines Mannes, der Bildung genossen
haben mußte. So erfuhren die Coupeaus nach
und nach Einzelheiten über sein Leben.
Während der letzten acht Jahre hatte er kurze
Zeit eine Hutfabrik geleitet, und als man ihn
fragte, warum er das aufgegeben habe,
begnügte er sich damit, von der Schuftigkeit
eines Teilhabers zu sprechen, eines
Landsmannes, eines Schurken, der die Firma
mit Frauen durchgebracht habe. Aber sein
ehemaliger Titel eines Chefs blieb an seiner
ganzen Person haften wie ein
Adelsprivilegium, das er nicht mehr verwirken
konnte. Er sagte unaufhörlich, er stehe kurz
vor Abschluß eines prächtigen Geschäftes,
Hutfirmen hätten vor, ihn einzurichten und
ihm
gewaltige
Kapitalinteressen
anzuvertrauen. Unterdessen tat er überhaupt
nichts und ging, die Hände in den Taschen,
wie ein reicher Bürger in der Sonne spazieren.
Wenn man sich unterstand, ihm an den Tagen,
an denen er klagte, eine Manufaktur
nachzuweisen, die Arbeiter suchte, schien er
von lächelndem Mitleid erfaßt, er habe keine
Lust, vor Hunger zu verrecken, indem er sich
für andere abrackere. Immerhin lebte dieser
lustige Bruder, wie Coupeau sagte, nicht von
der Luft. Oh, das war ein Schlauberger, er
verstand es, zurechtzukommen, er wurstelte
sich
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