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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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und rund, die Beine und Arme
    waren infolge seiner kleinen Statur plump.
    Doch sein Gesicht hatte unter der
    Aufgedunsenheit seines nichtstuerischen
    Lebens die hübschen Züge bewahrt; und da er
    seinen schmalen Schnurrbart noch immer sehr
    pflegte, hätte man ihn genau auf sein Alter, auf
    fünfunddreißig Jahre, geschätzt. An diesem
    Tage trug er eine graue Hose und einen
    dunkelblauen Überzieher wie ein feiner Herr,
    dazu einen runden Hut; er hatte sogar eine Uhr
    und eine silberne Kette, an der ein Ring hing,
    ein Andenken.
    »Ich gehe«, sagte er. »Ich wohne am Ende der
    Welt.«
    Er war bereits auf dem Bürgersteig, als ihn der
    Bauklempner zurückrief, um ihm das
    Versprechen abzunehmen, nicht mehr an der
    Tür vorbeizugehen, ohne ihnen schnell mal
    guten Tag zu sagen.
    Inzwischen kam Gervaise, die soeben sacht
    verschwunden war, wieder herein und schob
    Etienne vor sich her, der in Hemdsärmeln war
    und schon ein verschlafenes Gesicht hatte. Das
    Kind lächelte, rieb sich die Augen. Aber als es
    Lantier erblickte, blieb es zitternd und
    verlegen stehen und ließ unruhige Blicke zu
    seiner Mutter und zu Coupeau hingleiten.
    »Erkennst du diesen Herrn nicht?« fragte
    Coupeau.
    Das Kind senkte den Kopf, ohne zu antworten.
    Dann nickte es leicht, um zu sagen, daß es den
    Herrn erkenne.
    »Na, stell dich nicht so dumm an, gib ihm
    einen Kuß.«
    Ernst und ruhig wartete Lantier. Als sich
    Etienne entschloß, näher zu kommen, beugte
    er sich herab, hielt beide Wangen hin und
    drückte dann selber dem Bengel einen
    schallenden Kuß auf die Stirn. Da wagte dieser
    seinen Vater anzusehen. Aber mit einemmal
    brach er in Schluchzen aus, er entfloh wie ein
    Verrückter, halbnackt, ausgescholten von
    Coupeau, der ihn als menschenscheu
    bezeichnete.
    »Das ist die Aufregung«, sagte Gervaise, die
    selber blaß und erschüttert war.
    »Oh, gewöhnlich ist er sehr sanft, sehr nett«,
    erklärte Coupeau. »Ich habe ihn schneidig
    erzogen, Sie werden ja sehen ... Er wird sich
    an Sie gewöhnen. Er muß die Leute
    kennenlernen ... Und wenn es schließlich auch
    nur des Kleinen wegen gewesen wäre, man
    konnte ja nicht immer miteinander verfeindet
    bleiben, nicht wahr? Seinetwegen hätten wir
    das schon längst tun sollen, denn lieber würde
    ich mir den Kopf abhacken lassen als einen
    Vater daran hindern, sein Kind zu sehen.«
    Daraufhin sprach er davon, die Flasche
    Kognak auszutrinken.
    Alle drei stießen erneut an.
    Lantier wunderte sich nicht, er besaß eine
    schöne Gemütsruhe. Bevor er ging, wollte er,
    um die Einladungen des Bauklempners zu
    vergelten, unbedingt mit ihm den Laden
    schließen. Dann klopfte er der Reinlichkeit
    halber seine Hände ab und wünschte dem
    Ehepaar eine gute Nacht.
    »Schlafen Sie gut. Ich will sehen, daß ich den
    Omnibus erwische ... Ich verspreche Ihnen,
    bald wiederzukommen.«
    Von diesem Abend an zeigte sich Lantier oft
    in der Rue de la Goutted'Or. Er erschien, wenn
    der Bauklempner da war, erkundigte sich
    gleich von der Tür aus nach seinem Befinden
    und tat so, als käme er einzig und allein
    seinetwegen herein. Dicht am Schaufenster
    sitzend, stets im Überzieher, rasiert und
    gekämmt, plauderte er dann höflich mit den
    Manieren eines Mannes, der Bildung genossen
    haben mußte. So erfuhren die Coupeaus nach
    und nach Einzelheiten über sein Leben.
    Während der letzten acht Jahre hatte er kurze
    Zeit eine Hutfabrik geleitet, und als man ihn
    fragte, warum er das aufgegeben habe,
    begnügte er sich damit, von der Schuftigkeit
    eines Teilhabers zu sprechen, eines
    Landsmannes, eines Schurken, der die Firma
    mit Frauen durchgebracht habe. Aber sein
    ehemaliger Titel eines Chefs blieb an seiner
    ganzen Person haften wie ein
    Adelsprivilegium, das er nicht mehr verwirken
    konnte. Er sagte unaufhörlich, er stehe kurz
    vor Abschluß eines prächtigen Geschäftes,
    Hutfirmen hätten vor, ihn einzurichten und
    ihm

    gewaltige

    Kapitalinteressen
    anzuvertrauen. Unterdessen tat er überhaupt
    nichts und ging, die Hände in den Taschen,
    wie ein reicher Bürger in der Sonne spazieren.
    Wenn man sich unterstand, ihm an den Tagen,

an denen er klagte, eine Manufaktur
    nachzuweisen, die Arbeiter suchte, schien er
    von lächelndem Mitleid erfaßt, er habe keine
    Lust, vor Hunger zu verrecken, indem er sich
    für andere abrackere. Immerhin lebte dieser
    lustige Bruder, wie Coupeau sagte, nicht von
    der Luft. Oh, das war ein Schlauberger, er
    verstand es, zurechtzukommen, er wurstelte
    sich

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