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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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mit irgendwelchen Geschäften durch,
    denn schließlich sah er blühend und vergnügt
    aus, er brauchte sehr viel Geld, um sich weiße
    Wäsche und Krawatten wie ein Sohn aus guter
    Familie leisten zu können. Eines Morgens
    hatte der Bauklempner gesehen, wie er sich
    auf dem Boulevard Montmartre die Stiefel
    putzen ließ. Die wirkliche Wahrheit war, daß
    der über andere so gesprächige Lantier
    schwieg oder log, wenn es sich um ihn drehte.
    Er wollte nicht einmal sagen, wo er wohnte.
    Nein, er hause bei einem Freund, da draußen
    am Ende der Welt, bloß, bis er eine gute
    Stellung finde; und er verbot den Leuten, ihn
    zu besuchen, weil er nie da sei.
    »Man findet eher zehn Stellungen als eine«,
    erklärte er oft. »Bloß lohnt es sich nicht, in
    Buden anzufangen, wo man doch keine
    vierundzwanzig Stunden bleibt ... So komme
    ich eines Montags zu Champion in Montrouge.
    Am Abend ödet mich Champion mit der
    Politik an; er hatte nicht dieselben Ansichten
    wie ich. Na, und Dienstag früh bin ich geflitzt,
    denn wir leben ja nicht mehr im Zeitalter der
    Sklaverei, und ich will mich nicht für sieben
    Francs am Tag verkaufen.«
    Man befand sich jetzt in den ersten
    Novembertagen. Lantier brachte galanterweise
    Veilchensträuße mit, die er an Gervaise und
    die beiden Arbeiterinnen verteilte. Nach und
    nach vermehrte er seine Besuche, und er kam
    fast alle Tage. Er schien das Haus, das ganze
    Viertel für sich einnehmen zu wollen; und
    zuerst bezauberte er Clémence und Frau
    Putois, denen er ohne Altersunterschied die
    zuvorkommendsten

    Aufmerksamkeiten
    erwies. Nach Verlauf eines Monats
    schwärmten die beiden Arbeiterinnen für ihn.
    Die Boches, denen er sehr schmeichelte,
    indem er in ihre Conciergeloge ging und sie
    begrüßte, gerieten außer sich vor Entzücken
    über seine Höflichkeit. Als die Lorilleux
    erfuhren, wer dieser Herr war, der am
    Namenstag beim Nachtisch gekommen war,
    spuckten sie anfangs Gift und Galle gegen
    Gervaise, die es wagte, ihren ehemaligen Kerl
    so in ihren Haushalt einzuführen. Aber eines
    Tages ging Lantier zu ihnen hinauf und trat so
    gut auf, indem er eine Kette für eine Dame aus
    seiner Bekanntschaft bei ihnen bestellte, daß
    sie ihn zum Platznehmen aufforderten und ihn,
    hingerissen von seiner Unterhaltung, eine
    Stunde dabehielten; sie fragten sich sogar, wie
    ein so vornehmer Mann mit Hinkebein habe
    leben können. Schließlich entrüsteten die
    Besuche des Hutmachers bei den Coupeaus
    niemanden

    mehr

    und

    schienen
    selbstverständlich zu sein, so sehr war es ihm
    gelungen, sich in der ganzen Rue de la
    Goutted'Or beliebt zu machen. Goujet allein
    blieb argwöhnisch. War er da, wenn der
    andere kam, so ging er zur Tür, um nicht
    gezwungen zu sein, die Bekanntschaft dieses
    Individuums zu machen.
    Indessen lebte Gervaise inmitten dieser
    allgemeinen Vernarrtheit in Lantier während
    der ersten Wochen in großer Unruhe. Sie
    spürte in der Herzgrube jene Hitze, deren
    Brennen sie an dem Tage gefühlt hatte, an dem
    ihr Virginie die vertraulichen Mitteilungen
    machte. Ihre große Angst rührte daher, daß sie
    kraftlos zu sein fürchtete, wenn er sie eines
    Abends ganz allein überraschte und es ihm
    einfiele, sie zu küssen. Sie dachte zuviel an
    ihn, sie blieb zu sehr von ihm erfüllt. Aber
    langsam beruhigte sie sich, als sie sah, daß er
    so anständig war, ihr nicht ins Gesicht schaute
    und sie nicht einmal mit den Fingerspitzen
    anrührte, wenn die anderen den Rücken
    wandten. Außerdem machte ihr Virginie, die
    in ihr zu lesen schien, Vorhaltungen über ihre
    häßlichen Gedanken. Warum zitterte sie?
    Einem netteren Menschen könne man gar nicht
    begegnen. Sie habe bestimmt nichts mehr zu
    befürchten. Und die große Brünette
    bewerkstelligte es eines Tages, sie beide in
    eine Ecke zu drängen und das Gespräch aufs
    Gefühl zu bringen. Die Worte wählend,
    erklärte Lantier mit ernster Stimme, sein Herz
    sei tot, er wolle sich hinfort einzig und allein
    dem Glück seines Sohnes widmen. Von
    Claude, der immer noch im Süden war, sprach
    er nie. Etienne küßte er alle Abende auf die
    Stirn, und wenn das Kind dablieb, wußte er
    nicht, was er zu ihm sagen sollte, und vergaß
    es und ließ sich darauf ein, Clémence
    Komplimente zu machen. Da fühlte Gervaise
    beruhigt, wie die Vergangenheit in ihr starb.
    Lantiers Gegenwart ließ ihre Erinnerungen an
    Plassans und das Hotel Boncœur verblassen.
    Dadurch, daß sie ihn ständig sah, träumte sie
    nicht mehr von

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