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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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erleichtern.
    »Ja«, begann Gervaise, verlegen durch ihrer
    beider Schweigen, »ich machte eine
    Besorgung, ich war fortgegangen ...«
    Nachdem sie eine Aussprache so sehr
    herbeigewünscht hatte, wagte sie auf einmal
    nicht mehr zu sprechen. Große Scham hatte sie
    befallen. Und dennoch fühlte sie genau, daß
    sie nur hierhergekommen waren, um darüber
    zu reden; sie redeten sogar davon, ohne daß sie
    ein Wort auszusprechen brauchten. Die
    Angelegenheit vom Vortage blieb zwischen
    ihnen wie eine Last, die sie bedrückte. Da
    erzählte sie, von fürchterlicher Traurigkeit
    ergriffen, mit Tränen in den Augen vom
    Todeskampf Frau Bijards, ihrer Waschfrau,
    die am Morgen nach entsetzlichen Schmerzen
    gestorben war. »Das rührte von einem Fußtritt
    her, den ihr Bijard versetzt hatte«, sagte sie mit
    sanfter und monotoner Stimme. »Der Bauch
    ist angeschwollen. Zweifellos hatte er ihr
    innerlich irgend etwas zerschlagen. Mein Gott,
    in drei Tagen ist sie abgekratzt ... Ach, auf den
    Galeeren gibt es Lumpen, die nicht soviel
    angerichtet haben. Doch die Justiz hätte zuviel
    Arbeit, wenn sie sich um die Frauen kümmern
    wollte, die durch ihre Männer krepieren. Ein
    Fußtritt mehr oder weniger, nicht wahr, der
    zählt ja nicht, wenn man alle Tage welche
    kriegt. Um so mehr, als die arme Frau ihren
    Mann vorm Schafott retten wollte und erklärt
    hat, sie habe sich den Bauch beim Fallen über
    einen Waschzuber zuschanden gerichtet ... Die
    ganze Nacht, bevor sie verschied, hat sie
    gebrüllt.«
    Der Schmied schwieg, riß mit seinen
    verkrampften Fäusten Gras aus. »Es ist keine
    vierzehn Tage her«, fuhr Gervaise fort, »daß
    sie ihren Jüngsten, den kleinen Jules, abgestillt
    hat; und das ist noch ein Glück, denn so wird
    das Kind keinen Schaden nehmen ...
    Gleichviel, da hat nun diese Göre, die Lalie,
    die beiden Knirpse auf dem Halse. Sie ist noch
    keine acht Jahre alt, aber sie ist ernst und
    vernünftig wie eine richtige Mutter. Dabei
    schlägt sie ihr Vater krumm und lahm ... Ach
    ja, man findet Geschöpfe, die zum Leiden
    geboren sind.«
    Goujet schaute sie an und sagte schroff mit
    bebenden Lippen:
    »Sie haben mir gestern weh getan, o ja, sehr
    weh ...«
    Gervaise hatte erbleichend die Hände gefaltet.
    Aber er fuhr fort:
    »Ich weiß, das mußte kommen ... Bloß, Sie
    hätten sich mir anvertrauen und mir
    eingestehen sollen, wie es sich damit verhielt,
    um mich nicht in irgendwelchen Vorstellungen
    zu belassen ...« Er konnte nicht zu Ende reden.
    Sie war aufgestanden, als sie begriff, daß
    Goujet glaubte, sie habe sich mit Lantier
    ausgesöhnt, wie das Viertel behauptete. Und
    mit ausgestreckten Armen schrie sie:
    »Nein, nein, ich schwöre Ihnen ... Er hat mich
    gedrängt, er wollte mich küssen, das stimmt;
    aber sein Gesicht hat meins nicht mal berührt,
    und es war das erstemal, daß er versuchte ...
    Oh, wirklich, bei meinem Leben, beim Leben
    meiner Kinder, bei allem, was mir heilig ist!«
    Der Schmied schüttelte jedoch den Kopf. Er
    war mißtrauisch, weil die Frauen immer nein
    sagen.
    Da wurde Gervaise ganz ernst und entgegnete
    langsam:
    »Sie kennen mich, Herr Goujet, ich bin nicht
    gerade eine Lügnerin ... Also nein, es ist nicht
    an dem, mein Ehrenwort! – Es wird niemals an
    dem sein, verstehen Sie? Niemals! An dem
    Tag, wo das geschehen sollte, würde ich ja die
    Allerverworfenste werden und würde nicht
    mehr die Freundschaft eines anständigen
    Menschen wie Sie verdienen.«
    Und sie hatte beim Sprechen ein so schönes,
    ganz von Offenheit erfülltes Gesicht, daß er sie
    bei der Hand faßte und sie veranlaßte, sich
    wieder hinzusetzen. Jetzt atmete er freudig auf
    und lachte innerlich. Es war das erstemal, daß
    er so ihre Hand hielt und sie in der seinen
    drückte. Beide blieben stumm. Am Himmel
    schwamm der Schwarm weißer Wolken
    langsam wie ein Schwan dahin. Von der Ecke
    des Feldes aus schaute die Ziege, die sich zu
    ihnen umgedreht hatte, sie an, wobei sie in
    langen, regelmäßigen Abständen ein ganz
    sanftes Meckern ausstieß. Und ohne ihre
    Finger loszulassen, die Augen vor Rührung in
    Tränen ertränkt, verloren sie sich in der Ferne,
    auf dem Abhang des bleifahlen Montmartre,
    mitten im Hochwald der Fabrikschornsteine,
    die auf dem Horizont Streifen bildeten, in
    jenem kalkigen und trostlosen Stadtrandgebiet,
    in dem die grünen Lauben der
    Winkelschenken sie zu Tränen rührten.
    »Ihre Mutter ist böse auf mich, ich weiß es«,
    meinte Gervaise leise. »Sagen Sie

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