Der Todschlaeger
erleichtern.
»Ja«, begann Gervaise, verlegen durch ihrer
beider Schweigen, »ich machte eine
Besorgung, ich war fortgegangen ...«
Nachdem sie eine Aussprache so sehr
herbeigewünscht hatte, wagte sie auf einmal
nicht mehr zu sprechen. Große Scham hatte sie
befallen. Und dennoch fühlte sie genau, daß
sie nur hierhergekommen waren, um darüber
zu reden; sie redeten sogar davon, ohne daß sie
ein Wort auszusprechen brauchten. Die
Angelegenheit vom Vortage blieb zwischen
ihnen wie eine Last, die sie bedrückte. Da
erzählte sie, von fürchterlicher Traurigkeit
ergriffen, mit Tränen in den Augen vom
Todeskampf Frau Bijards, ihrer Waschfrau,
die am Morgen nach entsetzlichen Schmerzen
gestorben war. »Das rührte von einem Fußtritt
her, den ihr Bijard versetzt hatte«, sagte sie mit
sanfter und monotoner Stimme. »Der Bauch
ist angeschwollen. Zweifellos hatte er ihr
innerlich irgend etwas zerschlagen. Mein Gott,
in drei Tagen ist sie abgekratzt ... Ach, auf den
Galeeren gibt es Lumpen, die nicht soviel
angerichtet haben. Doch die Justiz hätte zuviel
Arbeit, wenn sie sich um die Frauen kümmern
wollte, die durch ihre Männer krepieren. Ein
Fußtritt mehr oder weniger, nicht wahr, der
zählt ja nicht, wenn man alle Tage welche
kriegt. Um so mehr, als die arme Frau ihren
Mann vorm Schafott retten wollte und erklärt
hat, sie habe sich den Bauch beim Fallen über
einen Waschzuber zuschanden gerichtet ... Die
ganze Nacht, bevor sie verschied, hat sie
gebrüllt.«
Der Schmied schwieg, riß mit seinen
verkrampften Fäusten Gras aus. »Es ist keine
vierzehn Tage her«, fuhr Gervaise fort, »daß
sie ihren Jüngsten, den kleinen Jules, abgestillt
hat; und das ist noch ein Glück, denn so wird
das Kind keinen Schaden nehmen ...
Gleichviel, da hat nun diese Göre, die Lalie,
die beiden Knirpse auf dem Halse. Sie ist noch
keine acht Jahre alt, aber sie ist ernst und
vernünftig wie eine richtige Mutter. Dabei
schlägt sie ihr Vater krumm und lahm ... Ach
ja, man findet Geschöpfe, die zum Leiden
geboren sind.«
Goujet schaute sie an und sagte schroff mit
bebenden Lippen:
»Sie haben mir gestern weh getan, o ja, sehr
weh ...«
Gervaise hatte erbleichend die Hände gefaltet.
Aber er fuhr fort:
»Ich weiß, das mußte kommen ... Bloß, Sie
hätten sich mir anvertrauen und mir
eingestehen sollen, wie es sich damit verhielt,
um mich nicht in irgendwelchen Vorstellungen
zu belassen ...« Er konnte nicht zu Ende reden.
Sie war aufgestanden, als sie begriff, daß
Goujet glaubte, sie habe sich mit Lantier
ausgesöhnt, wie das Viertel behauptete. Und
mit ausgestreckten Armen schrie sie:
»Nein, nein, ich schwöre Ihnen ... Er hat mich
gedrängt, er wollte mich küssen, das stimmt;
aber sein Gesicht hat meins nicht mal berührt,
und es war das erstemal, daß er versuchte ...
Oh, wirklich, bei meinem Leben, beim Leben
meiner Kinder, bei allem, was mir heilig ist!«
Der Schmied schüttelte jedoch den Kopf. Er
war mißtrauisch, weil die Frauen immer nein
sagen.
Da wurde Gervaise ganz ernst und entgegnete
langsam:
»Sie kennen mich, Herr Goujet, ich bin nicht
gerade eine Lügnerin ... Also nein, es ist nicht
an dem, mein Ehrenwort! – Es wird niemals an
dem sein, verstehen Sie? Niemals! An dem
Tag, wo das geschehen sollte, würde ich ja die
Allerverworfenste werden und würde nicht
mehr die Freundschaft eines anständigen
Menschen wie Sie verdienen.«
Und sie hatte beim Sprechen ein so schönes,
ganz von Offenheit erfülltes Gesicht, daß er sie
bei der Hand faßte und sie veranlaßte, sich
wieder hinzusetzen. Jetzt atmete er freudig auf
und lachte innerlich. Es war das erstemal, daß
er so ihre Hand hielt und sie in der seinen
drückte. Beide blieben stumm. Am Himmel
schwamm der Schwarm weißer Wolken
langsam wie ein Schwan dahin. Von der Ecke
des Feldes aus schaute die Ziege, die sich zu
ihnen umgedreht hatte, sie an, wobei sie in
langen, regelmäßigen Abständen ein ganz
sanftes Meckern ausstieß. Und ohne ihre
Finger loszulassen, die Augen vor Rührung in
Tränen ertränkt, verloren sie sich in der Ferne,
auf dem Abhang des bleifahlen Montmartre,
mitten im Hochwald der Fabrikschornsteine,
die auf dem Horizont Streifen bildeten, in
jenem kalkigen und trostlosen Stadtrandgebiet,
in dem die grünen Lauben der
Winkelschenken sie zu Tränen rührten.
»Ihre Mutter ist böse auf mich, ich weiß es«,
meinte Gervaise leise. »Sagen Sie
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