Der Todschlaeger
nicht nein ...
Wir schulden Ihnen so viel Geld!«
Aber er wurde grob, um sie zum Schweigen zu
bringen. Er schüttelte ihre Hand zum
Zerbrechen. Er wollte nicht, daß sie vom Geld
sprach. Dann zögerte er und stammelte
schließlich:
»Hören Sie, seit langem denke ich daran,
Ihnen etwas vorzuschlagen ... Sie sind nicht
glücklich. Meine Mutter behauptet, daß das
Leben eine schlimme Wendung für Sie
nimmt ...« Er hielt inne, bekam schlecht Luft.
»Also, wir müssen zusammen fortgehen.«
Sie sah ihn an, da sie zuerst nicht genau
verstand und überrascht war von dieser rauhen
Erklärung einer Liebe, über die er nie den
Mund aufgetan hatte.
»Wie denn?« fragte sie.
»Ja«, fuhr er mit gesenktem Kopf fort, »wir
könnten fortgehen, wir könnten irgendwo
leben, in Belgien, wenn Sie wollen ... Das ist
fast meine Heimat – Wenn wir beide arbeiten,
würden wir es schnell zu etwas bringen.«
Da wurde sie ganz rot. Selbst wenn er sie an
sich gezogen hätte, um sie zu küssen, hätte sie
sich weniger geschämt. Er war doch ein
komischer Bursche, ihr eine Entführung
vorzuschlagen, wie es in Romanen und in der
vornehmen Gesellschaft vorkommt. Nun ja,
um sich her sah sie, wie Arbeiter verheirateten
Frauen den Hof machten; doch sie führten sie
nicht einmal nach SaintDenis, an Ort und
Stelle geschah's, und zwar ohne Umschweife.
»Ach, Herr Goujet, Herr Goujet ...«, flüsterte
sie, ohne daß ihr etwas anderes einfiel.
»Na ja, da wären wir schließlich nur zu zweit«,
begann er wieder. »Die anderen stören mich,
verstehen Sie? – Wenn ich Freundschaft für
einen Menschen empfinde, kann ich diesen
Menschen nicht mit anderen zusammen
sehen.«
Aber sie faßte sich, sie lehnte nun mit
vernünftiger Miene ab:
»Das ist nicht möglich, Herr Goujet. Das wäre
sehr schlecht ... Ich bin verheiratet, nicht
wahr? Ich habe Kinder ... Ich weiß wohl, daß
Sie Freundschaft für mich empfinden und daß
ich Ihnen weh tue. Bloß wir würden
Gewissensbisse bekommen, wir würden keine
Freude verspüren ... Auch ich empfinde
Freundschaft für Sie, ich empfinde zuviel
Freundschaft für Sie, als daß ich Sie
Dummheiten begehen ließe. Und das wären
bestimmt Dummheiten ... Nein, sehen Sie, es
ist besser, wir bleiben, wie wir sind. Wir
schätzen uns, wir stimmen in unseren
Gefühlen überein. Das ist viel, das hat mich
mehr als einmal aufrechterhalten. Wenn man
in unserer Lage ehrbar bleibt, so wird man
dafür tüchtig belohnt.«
Er nickte mit dem Kopf, während er ihr
zuhörte. Er pflichtete ihr bei, er konnte nicht
das Gegenteil sagen. Jäh nahm er sie am
hellichten Tage in die Arme, preßte sie zum
Zerspringen an sich, drückte ihr einen wilden
Kuß auf den Hals, als wolle er ihre Haut
verschlingen. Dann ließ er sie los, ohne etwas
anderes zu verlangen; und er sprach nicht
mehr von ihrer Liebe.
Sie schüttelte sich, sie war nicht böse, weil sie
begriff, daß sie beide diese kleine Freude wohl
verdient hatten.
Der Schmied jedoch, der von Kopf bis Fuß
von einem heftigen Schauer geschüttelt wurde,
rückte von ihr ab, um nicht dem Verlangen
nachzugeben, sie wieder in seine Arme zu
nehmen; er rutschte auf den Knien herum,
wußte nicht, womit er seine Hände
beschäftigen sollte, pflückte Butterblumen, die
er von weitem in ihren Korb warf. Es gab hier
inmitten des verbrannten Grasteppichs
prächtige gelbe Butterblumen. Nach und nach
beruhigte und belustigte ihn dieses Spiel. Mit
seinen von der Arbeit mit dem Hammer steif
gewordenen Fingern brach er behutsam die
Blumen ab, schleuderte sie eine nach der
anderen, und seine Augen, die Augen eines
gutmütigen Hundes, lachten, wenn er den
Korb nicht verfehlte. Heiter und ausgeruht
hatte sich die Wäscherin an den abgestorbenen
Baum gelehnt und sprach lauter, um beim
heftigen Atmen des Sägewerks gehört zu
werden. Als sie das unbebaute Gelände Seite
an Seite verließen und dabei von Etienne
redeten, dem es in Lille sehr gefiel, nahm sie
ihren Korb voller Butterblumen mit.
Im Grunde fühlte sich Gervaise Lantier
gegenüber nicht so mutig, wie sie sagte.
Gewiß, sie war wohl entschlossen, ihm nicht
zu gestatten, sie auch nur mit den
Fingerspitzen anzurühren; aber sie hatte Angst,
wenn er sie jemals anrühren sollte, Angst vor
ihrer früheren Feigheit, vor jener Schlaffheit
und jener Nachgiebigkeit, der sie sich überließ,
um den Leuten Freude zu machen. Lantier
jedoch begann mit seinem Versuch
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