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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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eine
    Besorgung zu machen, habe der Hutmacher
    die Arbeiterin mit in seine Stube genommen.
    Nun treffe man sie zusammen, allem Anschein
    nach besuche er sie wohl in ihrem Zuhause.
    »Na und?« sagte die Wäscherin mit etwas
    zitternder Stimme. »Was kann mir das schon
    ausmachen?« Und sie betrachtete Virginies
    gelbe Augen, in denen goldene Funken
    leuchteten wie in den Augen einer Katze. War
    diese Frau denn böse auf sie, daß sie sie
    eifersüchtig zu machen suchte?
    Aber die Schneiderin setzte ihre dumme Miene
    auf und erwiderte:
    »Das kann Ihnen bestimmt nichts
    ausmachen ... Bloß, Sie sollten ihm raten,
    dieses Mädchen laufenzulassen, mit dem er
    nur Unannehmlichkeiten haben wird.«
    Das schlimmste war, daß Lantier sich
    unterstützt fühlte und sein Benehmen
    gegenüber Gervaise änderte. Wenn er ihr jetzt
    die Hand drückte, hielt er ihre Finger einen
    Augenblick zwischen den seinen. Er belästigte
    sie mit seinem Blick, starrte sie mit dreisten
    Augen an, in denen sie deutlich las, was er von
    ihr verlangte. Wenn er hinter ihr vorüberging,
    drückte er die Knie in ihre Röcke, hauchte ihr
    über den Hals, wie um sie einzulullen. Doch er
    wartete noch, bevor, er brutal wurde und sich
    offenbarte. Aber als er sich eines Abends
    allein mit ihr fand, schob er sie, ohne ein Wort
    zu sagen, vor sich her, drängte die Zitternde
    gegen die Wand im Hintergrund des Ladens
    und wollte sie dort küssen. Der Zufall wollte
    es, daß Goujet gerade in diesem Augenblick
    eintrat. Da sträubte sie sich, entwischte. Und
    alle drei wechselten ein paar Worte, als sei
    nichts gewesen. Goujet, der ganz weiß im
    Gesicht war, hatte die Nase gesenkt und
    bildete sich ein, er störe sie beide und sie habe
    sich soeben gesträubt, um nicht vor allen
    Leuten geküßt zu werden.
    Am nächsten Tag trat Gervaise im Laden ganz
    unglücklich von einem Fuß auf den anderen,
    war außerstande, ein Taschentuch zu bügeln;
    sie hatte das Bedürfnis, Goujet zu sehen, ihm
    zu erklären, wie Lantier sie gegen die Wand
    gedrückt hatte. Aber seitdem Etienne in Lille
    war, wagte sie die Schmiede nicht mehr zu
    betreten, wo Salzschnabel, genannt
    Trinkohndurst, sie stets mit tückischem
    Gelächter empfing. Doch am Nachmittag
    nahm sie, ihrem Verlangen nachgebend, einen
    leeren Korb und ging unter dem Vorwand
    weg, Unterröcke von ihrer Kundin in der Rue
    des PortesBlanches abzuholen. Als sie dann in
    der Rue Marcadet vor der Schraubenfabrik
    war, ging sie mit kleinen Schritten auf und ab
    und rechnete auf ein glückliches
    Zusammentreffen. Zweifellos mußte Goujet
    auch auf sie gewartet haben, denn sie war noch
    keine fünf Minuten dort, als er wie zufällig
    herauskam.
    »Ach, Sie machen eine Besorgung«, sagte er
    und lächelte schwach. »Sie gehen nach
    Hause ...« Er sagte das, um etwas zu reden.
    Gervaise wandte der Rue des Poissonniers
    gerade den Rücken zu. Und sie gingen Seite an
    Seite, ohne sich unterzufassen, zum
    Montmartre hinauf. Sie hatten wohl den
    einzigen Gedanken, sich von der Fabrik zu
    entfernen, damit es nicht den Anschein hatte,
    sie hätten sich vor dem Tor verabredet.
    Gesenkten Kopfes gingen sie inmitten des
    Ratterns der Fabriken den ausgefahrenen
    Fahrdamm entlang. Nach zweihundert
    Schritten machten sie sich dann ganz
    selbstverständlich, als sei ihnen die Gegend
    bekannt, nach links davon und bogen, immer
    noch schweigend, auf unbebautes Gelände ab.
    Das war ein grün gebliebener Streifen Wiese
    mit gelben Flecken versengten Grases
    zwischen einem Sägewerk und einer
    Knopffabrik; eine Ziege, die an einen Pfahl
    gebunden war, lief meckernd herum; im
    Hintergrund zerbröckelte ein abgestorbener
    Baum in der prallen Sonne.
    »Wirklich«, murmelte Gervaise, »man könnte
    meinen, auf dem Lande zu sein.«
    Sie setzten sich unter den abgestorbenen
    Baum. Die Wäscherin stellte den Korb zu
    ihren Füßen hin. Ihnen gegenüber stufte der
    Montmartre seine Reihen hoher gelber und
    grauer Häuser in Büscheln spärlichen Grüns
    übereinander. Und wenn sie den Kopf noch
    weiter zurückbeugten, erblickten sie über der
    Stadt den weiten Himmel, der von glühender
    Reinheit war und im Norden von einem
    Schwarm weißer Wölkchen durchzogen
    wurde. Doch das grelle Licht Wendete sie, sie
    betrachteten in Höhe des ebenen Horizonts die
    kreidigen Fernen der Vorstädte, sie verfolgten
    vor allem das Atmen des dünnen Rohres vom
    Sägewerk, das Dampfstrahlen ausblies. Diese
    schweren Seufzer schienen ihre beengte Brust
    zu

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