Der Todschlaeger
eine
Besorgung zu machen, habe der Hutmacher
die Arbeiterin mit in seine Stube genommen.
Nun treffe man sie zusammen, allem Anschein
nach besuche er sie wohl in ihrem Zuhause.
»Na und?« sagte die Wäscherin mit etwas
zitternder Stimme. »Was kann mir das schon
ausmachen?« Und sie betrachtete Virginies
gelbe Augen, in denen goldene Funken
leuchteten wie in den Augen einer Katze. War
diese Frau denn böse auf sie, daß sie sie
eifersüchtig zu machen suchte?
Aber die Schneiderin setzte ihre dumme Miene
auf und erwiderte:
»Das kann Ihnen bestimmt nichts
ausmachen ... Bloß, Sie sollten ihm raten,
dieses Mädchen laufenzulassen, mit dem er
nur Unannehmlichkeiten haben wird.«
Das schlimmste war, daß Lantier sich
unterstützt fühlte und sein Benehmen
gegenüber Gervaise änderte. Wenn er ihr jetzt
die Hand drückte, hielt er ihre Finger einen
Augenblick zwischen den seinen. Er belästigte
sie mit seinem Blick, starrte sie mit dreisten
Augen an, in denen sie deutlich las, was er von
ihr verlangte. Wenn er hinter ihr vorüberging,
drückte er die Knie in ihre Röcke, hauchte ihr
über den Hals, wie um sie einzulullen. Doch er
wartete noch, bevor, er brutal wurde und sich
offenbarte. Aber als er sich eines Abends
allein mit ihr fand, schob er sie, ohne ein Wort
zu sagen, vor sich her, drängte die Zitternde
gegen die Wand im Hintergrund des Ladens
und wollte sie dort küssen. Der Zufall wollte
es, daß Goujet gerade in diesem Augenblick
eintrat. Da sträubte sie sich, entwischte. Und
alle drei wechselten ein paar Worte, als sei
nichts gewesen. Goujet, der ganz weiß im
Gesicht war, hatte die Nase gesenkt und
bildete sich ein, er störe sie beide und sie habe
sich soeben gesträubt, um nicht vor allen
Leuten geküßt zu werden.
Am nächsten Tag trat Gervaise im Laden ganz
unglücklich von einem Fuß auf den anderen,
war außerstande, ein Taschentuch zu bügeln;
sie hatte das Bedürfnis, Goujet zu sehen, ihm
zu erklären, wie Lantier sie gegen die Wand
gedrückt hatte. Aber seitdem Etienne in Lille
war, wagte sie die Schmiede nicht mehr zu
betreten, wo Salzschnabel, genannt
Trinkohndurst, sie stets mit tückischem
Gelächter empfing. Doch am Nachmittag
nahm sie, ihrem Verlangen nachgebend, einen
leeren Korb und ging unter dem Vorwand
weg, Unterröcke von ihrer Kundin in der Rue
des PortesBlanches abzuholen. Als sie dann in
der Rue Marcadet vor der Schraubenfabrik
war, ging sie mit kleinen Schritten auf und ab
und rechnete auf ein glückliches
Zusammentreffen. Zweifellos mußte Goujet
auch auf sie gewartet haben, denn sie war noch
keine fünf Minuten dort, als er wie zufällig
herauskam.
»Ach, Sie machen eine Besorgung«, sagte er
und lächelte schwach. »Sie gehen nach
Hause ...« Er sagte das, um etwas zu reden.
Gervaise wandte der Rue des Poissonniers
gerade den Rücken zu. Und sie gingen Seite an
Seite, ohne sich unterzufassen, zum
Montmartre hinauf. Sie hatten wohl den
einzigen Gedanken, sich von der Fabrik zu
entfernen, damit es nicht den Anschein hatte,
sie hätten sich vor dem Tor verabredet.
Gesenkten Kopfes gingen sie inmitten des
Ratterns der Fabriken den ausgefahrenen
Fahrdamm entlang. Nach zweihundert
Schritten machten sie sich dann ganz
selbstverständlich, als sei ihnen die Gegend
bekannt, nach links davon und bogen, immer
noch schweigend, auf unbebautes Gelände ab.
Das war ein grün gebliebener Streifen Wiese
mit gelben Flecken versengten Grases
zwischen einem Sägewerk und einer
Knopffabrik; eine Ziege, die an einen Pfahl
gebunden war, lief meckernd herum; im
Hintergrund zerbröckelte ein abgestorbener
Baum in der prallen Sonne.
»Wirklich«, murmelte Gervaise, »man könnte
meinen, auf dem Lande zu sein.«
Sie setzten sich unter den abgestorbenen
Baum. Die Wäscherin stellte den Korb zu
ihren Füßen hin. Ihnen gegenüber stufte der
Montmartre seine Reihen hoher gelber und
grauer Häuser in Büscheln spärlichen Grüns
übereinander. Und wenn sie den Kopf noch
weiter zurückbeugten, erblickten sie über der
Stadt den weiten Himmel, der von glühender
Reinheit war und im Norden von einem
Schwarm weißer Wölkchen durchzogen
wurde. Doch das grelle Licht Wendete sie, sie
betrachteten in Höhe des ebenen Horizonts die
kreidigen Fernen der Vorstädte, sie verfolgten
vor allem das Atmen des dünnen Rohres vom
Sägewerk, das Dampfstrahlen ausblies. Diese
schweren Seufzer schienen ihre beengte Brust
zu
Weitere Kostenlose Bücher