Der Todschlaeger
leiden ... Wissen
Sie, es hat Streit mit Mutter Baquets Kellner
gegeben wegen eines Liters, den er von uns
zweimal bezahlt haben wollte ... Da bin ich
abgehauen und bin ein bißchen pennen
gegangen.«
Er gähnte noch immer, er hatte zehn Stunden
geschlafen. Im übrigen war er völlig nüchtern,
sah vertiert aus, und seine alte Jacke war voller
Daunen, denn er hatte sich wohl völlig
angezogen ins Bett gelegt.
»Und Sie wissen nicht, wo mein Mann ist?«
fragte die Wäscherin.
»Nein doch, überhaupt nicht ... Es war fünf
Uhr, als wir von Mutter Baquet weggegangen
sind. So war's! – Vielleicht ist er die Straße
runtergegangen. Ja, ich glaube sogar, ich habe
ihn gesehen, wie er mit einem Kutscher in den
›Papillon‹ reinging ... Oh, ist das dumm!
Wirklich, man ist reif zum Schlachten!«
Lantier und Gervaise verbrachten einen sehr
angenehmen Abend im Tingeltangel. Als um
elf Uhr die Türen geschlossen wurden, kehrten
sie bummelnd heim, ohne sich zu beeilen. Die
Kälte prickelte ein wenig, die Leute gingen
gruppenweise davon; und unter den Bäumen
im Dunkel standen Dirnen, die schier vor
Lachen platzten, weil die Männer ihnen beim
Spaßen zu nahe kamen. Lantier sang, zwischen
den Zähnen murmelnd, eins von Mademoiselle
Amandas Chansons: »In der Nase kitzelt's
mich.« Benommen, gleichsam berauscht fiel
Gervaise in den Kehrreim ein. Ihr war sehr
warm gewesen. Außerdem war ihr übel von
den beiden Gläsern, die sie getrunken hatte,
vom Pfeifenrauch und vom Geruch dieser
ganzen zusammengepferchten Gesellschaft.
Aber sie nahm vor allem einen lebhaften
Eindruck von Mademoiselle Amanda mit. Nie
hätte sie es gewagt, sich vor dem Publikum so
nackt auszuziehen. Man mußte gerecht sein,
diese Dame hatte eine Haut, daß man neidisch
wurde. Und sie hörte mit sinnlicher Neugier
zu, wie Lantier Einzelheiten über die
betreffende Person anführte und dabei aussah
wie ein Herr, der ihr unter vier Augen die
Rippen gezählt hatte. »Alles schläft«, sagte
Gervaise, nachdem sie dreimal geläutet hatte,
ohne daß die Boches geöffnet hätten.
Die Tür ging auf, aber die Toreinfahrt war
schwarz, und als sie an die Fensterscheibe der
Conciergeloge klopfte, um ihren Schlüssel zu
verlangen, schrie ihr die verschlafene
Concierge eine Geschichte zu, aus der sie
zuerst nicht klug wurde. Schließlich begriff
sie, daß der Polizist Poisson Coupeau in einem
drolligen Zustand nach Hause gebracht hatte
und daß der Schlüssel im Schloß stecken
müsse.
»Verflixt!« murmelte Lantier, als sie
eingetreten waren. »Was hat er denn hier
gemacht? Das ist ja eine wahre Pest.«
Es stank tatsächlich fürchterlich. Gervaise, die
Streichhölzer suchte, trat in etwas Feuchtes.
Als es ihr gelungen war, eine Kerze
anzuzünden, bot sich ihnen ein schöner
Anblick. Coupeau hatte Lunge und Leber
gekotzt; das ganze Zimmer war voll davon;
das Bett war damit verkleistert, der Teppich
ebenfalls, und sogar die Kommode war
bespritzt. Dazu schnarchte Coupeau, der aus
dem Bett gefallen war, auf das Poisson ihn
wohl geworfen hatte, mitten in seinem Unrat.
Er machte sich darin breit, hingesielt wie ein
Schwein, eine Backe beschmiert, und blies
seinen verpesteten Atem aus dem offenen
Mund, fegte mit seinen bereits grauen Haaren
in der Lache, die rings um seinen Kopf
auseinandergelaufen war.
»Oh, dieses Schwein! Dieses Schwein!« sagte
Gervaise immer wieder entrüstet und
aufgebracht. »Alles hat er verdreckt ... Nein,
ein Hund hätte das nicht getan, ein krepierter
Hund ist sauberer.«
Beide wagten sich nicht zu rühren und wußten
nicht, wo sie hintreten sollten. Noch nie war
der Bauklempner mit einem solchen Rausch
heimgekommen und hatte die Stube in einen
derartig schändlichen Zustand gebracht. So
versetzte dieser Anblick dem Gefühl, das seine
Frau noch für ihn hegen konnte, denn auch
einen schweren Schlag. Wenn er sonst
benebelt oder bekneipt nach Hause kam,
verhielt sie sich nachgiebig und war nicht
angewidert. Aber jetzt war es zuviel, ihr kam
alles hoch. Nicht mit der Zange hätte sie ihn
anfassen mögen. Der bloße Gedanke, die Haut
dieses Rohlings könnte nach ihrer Haut
streben, rief einen Widerwillen in ihr hervor,
als hätte man von ihr verlangt, sich neben
einen Toten hinzulegen, der an einer
abscheulichen Krankheit zugrunde gegangen
war.
»Ich muß mich doch schlafen legen«,
murmelte sie. »Ich kann doch nicht umkehren
und mich auf der Straße
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