Der Todschlaeger
schlafen legen ... Oh,
lieber klettere ich über ihn hinweg.« Sie
versuchte, über den Trunkenbold
hinwegzusteigen, und mußte sich an einer
Ecke der Kommode festhalten, um in dem
Dreck nicht auszurutschen.
Coupeau versperrte das Bett völlig.
Da nahm Lantier, der leise lächelte, weil er
deutlich sah, daß sie diese Nacht nicht auf
ihrem Kopfkissen heia machen würde, sie an
eine Hand und sagte mit leiser und glühender
Stimme:
»Gervaise ... hör mal, Gervaise ...«
Aber sie hatte verstanden, bestürzt machte sie
sich los und duzte ihn nun auch wie einst.
»Nein, laß mich ... Ich flehe dich an, Auguste,
geh in deine Stube zurück ... Ich werde schon
zurechtkommen, ich steige vom Fußende ins
Bett ...«
»Gervaise, na, sei doch nicht dumm«, sagte er
immer wieder. »Das riecht zu schlecht, du
kannst hier nicht bleiben ... Komm. Wovor
fürchtest du dich denn? Er hört uns doch gar
nicht, los!«
Sie kämpfte, sie schüttelte energisch den Kopf.
In ihrer Verwirrung; um gleichsam zu zeigen,
daß sie hierbleiben würde, entkleidete sie sich,
warf ihr Seidenkleid über einen Stuhl und zog
sich ungestüm bis aufs Hemd und den
Unterrock aus, war ganz weiß, Hals und Arme
nackt. Ihr Bett gehöre ihr, nicht wahr? Sie
wolle in ihrem Bett schlafen. Zweimal
nacheinander versuchte sie noch, eine saubere
Stelle zu finden und vorbeizukommen. Aber
Lantier ließ nicht ab, er faßte sie um die Taille
und sagte allerhand Dinge, um ihr Blut in
Brand zu setzen. Oh, da stand sie schön da mit
einem Rumtreiber von Ehemann vor ihr, der
sie daran hinderte, sich ehrbar unter ihre
Bettdecke zu verkriechen, und einem
verdammten Lumpen von Mann hinter ihr, der
einzig und allein darauf bedacht war, ihr
Unglück
auszunutzen,
um
sie
wiederzubekommen! Als der Hutmacher lauter
redete, flehte sie ihn an, still zu sein. Und die
Ohren spitzend, horchte sie zur Kammer hin,
in der Nana und Mama Coupeau schliefen.
Die Kleine und die Alte mußten wohl schlafen,
man hörte lautes Atmen.
»Auguste, laß mich, du wirst sie aufwecken«,
begann sie wieder mit gefalteten Händen. »Sei
vernünftig. Ein andermal, woanders ... Nicht
hier, nicht vor meiner Tochter ...«
Er sprach nicht mehr, er lächelte weiter; und
langsam küßte er sie aufs Ohr, so wie er sie
einst geküßt hatte, um sie zu necken und
benommen zu machen.
Da wurde sie kraftlos, sie fühlte, wie ein
heftiges Sausen, ein heftiger Schauer in ihren
Schoß hinabdrang. Dennoch machte sie
abermals einen Schritt. Und sie mußte
zurückweichen. Es war nicht möglich, der
Ekel war so groß, der Geruch wurde so stark,
daß sie sich in ihrem Laken selber übergeben
hätte. Wie auf Daunen schlief Coupeau, vom
Rausch erschlagen, mit abgestorbenen
Gliedern und schiefem Maul seine Sauftour
aus. Die ganze Straße hätte ruhig
hereinkommen und seine Frau umarmen
können, ohne daß sich deswegen ein Haar an
seinem Leib bewegt hätte.
»Da ist eben nichts zu machen«, stammelte
sie, »es ist seine Schuld, ich kann nicht ... Oh,
mein Gott, oh, mein Gott! Er weist mich aus
meinem Bett, ich habe kein Bett mehr ... Nein,
ich kann nicht, es ist seine Schuld.« Sie
zitterte, sie verlor den Kopf.
Und während Lantier sie in seine Stube
drängte, tauchte Nanas Gesicht an der Glastür
der Kammer hinter einer Scheibe auf. Die
Kleine war soeben aufgewacht und war im
Hemd, blaß vor Schläfrigkeit, leise
aufgestanden. Sie betrachtete ihren Vater,
hingewälzt in seinem Ausgebrochenen; dann
verharrte sie so, das Gesicht an die Scheibe
gepreßt, und wartete, bis der Unterrock ihrer
Mutter bei dem anderen Mann gegenüber
verschwunden war. Sie war ganz ernst. Sie
hatte die großen, von sinnlicher Neugier
entflammten Augen eines lasterhaften Kindes.
Kapitel IX
In diesem Winter wäre Mama Coupeau
beinahe bei einem Erstickungsanfall
verschieden. Jedes Jahr im Dezember wußte
sie mit Bestimmtheit, daß ihr Asthma sie für
zwei oder drei Wochen im Bett festnagelte. Sie
war ja keine fünfzehn Jahre mehr, am
SanktAntoniusTag mußte sie dreiundsiebzig
werden. Dazu war sie sehr klapprig und
röchelte wegen einer Kleinigkeit, obgleich sie
dick und fett war. Der Arzt kündigte an, sie
würde beim Husten hinübergehen und bloß
noch die Zeit haben, zu rufen: »Gute Nacht,
liebes Mädel, das Licht geht aus!«
Wenn Mama Coupeau in ihrem Bett lag,
wurde sie bösartig wie die Krätze. Man muß
sagen, daß die Kammer, in der sie mit
Weitere Kostenlose Bücher